Das Phänomen IS und sein Schrecken, der nicht nur den betroffenen Menschen in der Region in den Knochen sitzt: ein Politthriller, ein autobiografischer Text und ein Sachbuch zum Thema sind kürzlich erschienen.

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Der "Islamische Staat" ist im Nahen Osten fast gänzlich aufgerieben – für Europa bleibt die vieldiskutierte Frage nach der Gefährlichkeit der Heimkehrer und die prinzipielle Bearbeitung des Phänomens derer, die aus dem Westen in den Jihad zogen. Was treibt einen jungen Menschen dazu, mit allem zu brechen, um einer Utopie zu folgen, die ihre Anhänger zu Verbrechern macht? Und wie gehen wir mit ihnen um?

Ein Thema, drei völlig unterschiedliche Buchsorten: ein Politthriller eines Sachkundigen, ein autobiografischer Text eines heimgekehrten Jugendlichen und ein Sachbuch eines Soziologen. Ohne dass dies bei der Auswahl vorher bedacht worden wäre, sind die Protagonisten der beiden ersten Bücher – also ein fiktiver und ein echter – nicht IS-Kämpfer mit muslimischem Hintergrund, sondern Konvertiten. Und dazu hat auch der Autor des dritten Bands, Olivier Roy, etwas zu sagen.

Jenseits ist nach Radikal der zweite Roman, in dem Yassin Musharbash aus seinem reichen Fachwissen über Islam, Islamismus, Naher Osten, aber eben auch über jene, die sich in Deutschland damit beschäftigen, schöpft. Das allein macht kein spannendes Buch: Schreiben kann der Zeit-Journalist auch noch.

Es geht um Gent Sassenthin, der in einer Existenzkrise nach dem Suizid seiner Schwester beim Islam landet: Bald betet er, wie er früher gesoffen hat, wie ihm ein (muslimischer!) Freund sagt. Er zieht in den Krieg nach Raqqa, wo zwar nichts so ist, wie er sich vorgestellt hat: Teil des verbrecherischen Systems wird der ehemalige Medizinstudent aber dennoch schnell, er arbeitet nicht nur als Sanitäter, er amputiert auch – Bestrafung für Diebe – Hände. Das Buch setzt ein, als Gents Eltern zum ersten Mal seit langem ein Lebenszeichen vom Sohn erhalten. Sie wenden sich an eine Beratungsstelle, für Gent interessieren sich bald noch etliche andere.

Das deutsche Personal

Musharbash beschreibt nicht nur Gent und den Wahnsinn, in den er geraten ist. Das deutsche Personal auf der Gegenseite, das aus jeweils eigenen, nicht immer lauteren Motiven handelt, ist ebenso wichtig für die Handlung: Da sind die unsicheren Eltern Elisabeth und Karl, Titus Brandt, der Mitarbeiter einer Beratungsstelle, die ehrgeizige Journalistin Merle Schwab – Musharbash weiß, wie es in (manchen) Redaktionen zugeht -, Sami Mukhtar, Beamter inmitten einer komplexen Szene von Verfassungsschutz und Geheimdiensten.

Wie auch in Radikal ist auch in Jenseits nicht alles so, wie es aussieht, die große Frage ist diesmal, ob hinter Gents Heimkehrplänen vielleicht etwas anderes steckt, ob er wissentlich oder unwissentlich Teil eines terroristischen Komplotts ist. Mehr sei nicht verraten.

Oliver N. war, wie er in Meine falschen Brüder erzählt, tatsächlich in Raqqa. Aus desolaten Verhältnissen stammend, scheint der 15-Jährige sein Leben so halbwegs in den Griff zu bekommen, als er einem IS-Rekrutierer, den er flüchtig von früher kennt, verfällt: zuerst das verständnisvolle Zuhören, dann die Konversion, dann die Obsession mit dem Leid "der Muslime" in Syrien und im Irak. Im Sommer 2014 ist er in Syrien. Aus den "bescheuerten Rambo-Posen", in denen er sich fotografieren lässt, wird bald ernst. Der junge Mann versteht bald, dass es im "Islamischen Staat" um Eroberung geht, nicht um die Verteidigung von attackierten Muslimen und Musliminnen. Oliver will überleben – und er fühlt sich von der Brutalität abgestoßen, zumindest wird es im Buch so dargestellt. Dabei bleibt er trotzdem, die "Kameradschaft" bedeutet ihm auch noch etwas, als er nach einem Bombenangriff schwer verletzt im Krankenhaus liegt.

Verletzung und Heimkehr

Oliver N. kehrt schließlich freiwillig über die Türkei nach Österreich zurück, als Versehrter: An den Folgen seiner Verletzungen wird er sein Leben lang leiden. Er wird zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, nach zwanzig Monaten auf Bewährung entlassen und arbeitet heute aktiv im Verein "Derad" (für Deradikalisierung) mit, dessen Obmann Moussa Al-Hassan Diaw dem Buch ein kurzes Nachwort anfügt.

Über das absurde Leben im Kalifat erfährt man vieles – oder so viel, wie der junge Mann eben mitteilen will -, ob man seine Beweggründe nach der Lektüre versteht, sei dahingestellt. Einer, der sich seit Jahren damit beschäftigt, ist der französische Soziologe Olivier Roy – wobei ihm die Tatsache, dass er die Sache nicht islamwissenschaftlich angeht, etwa vom französischen Islamismusforscher Gilles Kepel angekreidet wird.

In der Tat erklärt Roys These von der "Islamisierung der Radikalität" – im Gegensatz zur Radikalisierung des Islam – das Phänomen der westlichen Anhänger der Gewaltbewegung, aber eigentlich nicht eine Person wie Osama bin Laden, von dem das Zitat im Buchtitel – Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod – stammt. Laut Roy handelt es sich um die reine Radikalität, die Revolte an sich, für die der IS nichts anderes als der ideale Bezugsrahmen ist. Er stellt den Gewaltbereiten und Todessüchtigen ein Narrativ zur Verfügung: Und dazu braucht man – wie der fiktive Gent und der echte Oliver – keinen muslimischen Hintergrund. (Gudrun Harrer, 18.11.2017)