"Wir gehen in Runde zwei. Die Aufgabe, eine Regierung zu bilden, ist eine so wichtige, dass sich die Anstrengung lohnt", sagte CDU-Chefin Angela Merkel, bevor sich die Verhandler Freitagmittag erneut in Sondierungsgespräche begaben.

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Gänzlich hoffnungslos ist die Lage nicht. Immerhin verkündete Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer am Freitagvormittag, nachdem die als final angedachten Sondierungen in der Nacht zuvor gescheitert waren: "Für wenige Minuten ist es auch mal schön." Er meinte damit allerdings die Sonne in Berlin. Weniger schön findet Seehofer, dass immer häufiger von Neuwahlen die Rede ist, weil die Jamaikaner einfach nicht weiterkommen. "Ich rede nicht von Scheitern", sagte er.

Doch die Deutschen haben längst begonnen, sich mit dieser Möglichkeit anzufreunden. Sollten die Jamaika-Verhandlungen scheitern, dann sind 68 Prozent laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF für Neuwahlen. Allerdings wäre der Weg dorthin nicht so einfach, man würde Neuland betreten.

Vertrauensfrage der Kanzlerin nicht möglich

Der deutsche Bundestag hat nicht das Recht, sich selbst aufzulösen. Doch grundsätzlich kann ein Kanzler oder eine Kanzlerin im Parlament gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage stellen, um zu prüfen, ob er oder sie noch die Mehrheit hinter sich hat. Das hat Gerhard Schröder (SPD) nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen getan. Er sah keine ausreichende Unterstützung mehr für seine Sozialreformen ("Agenda 2010"). Sein Ziel war es, die Vertrauensfrage zu verlieren, um den Weg zu Neuwahlen freizumachen. Und so kam es damals auch.

Angela Merkel ist dieser Weg verwehrt. Am 24. Oktober hat sich der neue Bundestag konstituiert, sie und ihre Kabinettskollegen sind nur noch geschäftsführend im Amt. Der neue Bundestag hat ihr noch nicht das Vertrauen ausgesprochen, sie also noch nicht gewählt. Daher kann er ihr auch das Vertrauen nicht entziehen.

Minderheitenregierung ohne Tradition

Aber es gibt eine andere Möglichkeit, die in Deutschland allerdings noch nie genutzt wurde. Gemäß Artikel 63 des Grundgesetzes könnte das Staatsoberhaupt – in dem Fall der ehemalige SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier – dem Bundestag einen Kandidaten oder eine Kandidatin zur Wahl vorschlagen, auch wenn der- oder diejenige keine Koalition "mitbringt". Die Wahl würde wohl auf Merkel fallen, die in den ersten beiden Wahlgängen voraussichtlich nicht die absolute Mehrheit erreichen würde. Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit. Danach könnte Steinmeier sie zur Kanzlerin ernennen. Sie würde dann eine Minderheitsregierung führen und müsste sich wechselnde Mehrheiten suchen – was schwierig sein dürfte. Mit AfD und Linken will Merkel nicht zusammenarbeiten, die SPD hat schon erklärt, sie nicht unterstützen zu wollen. Bleiben als Partner wieder nur FDP und Grüne. Merkel selbst dürfte auf eine Minderheitsregierung, die es im Bund noch nie gab, keine große Lust haben.

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Doch der Bundespräsident hätte noch eine andere Möglichkeit, er könnte den Bundestag auflösen. Neuwählen wären dann binnen 60 Tagen nötig. Zuvor aber müsste Steinmeier noch einmal mit den Parteien reden und ausloten, ob es nicht doch die Möglichkeit gibt, eine Regierung zu bilden. Das wäre mit Blick auf die Sozialdemokraten spannend, die auf keinen Fall noch einmal in eine große Koalition wollen.

Schwierige Verhandlungen

All das ist derweil noch Theorie. Denn eigentlich wollen die Jamaikaner ja ein Bündnis schmieden – sagten sie zumindest auch am Freitag nach der gescheiterten letzten Verhandlungsrunde. "Wir gehen in Runde zwei. Die Aufgabe, eine Regierung zu bilden, ist eine so wichtige, dass sich die Anstrengung lohnt", verkündete Merkel, bevor sie die Verhandler in die CDU-Zentrale bat. Grünen-Verhandlerin Katrin Göring-Eckardt hatte zunächst nur einen Wunsch: "Ich hoffe, dass es was Anständiges zu essen gibt bei der Union." FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki beklagt derweil, dass er keine frischen Hemden mehr habe und nichts bei den Verhandlungen in der Nacht geklappt habe: "Wir sind in den strittigen Fragen Migration, Bekämpfung des Klimawandels, Finanzpolitik, innere Sicherheit noch so weit auseinander, dass mir momentan die Fantasie fehlt, wie wir in der kurzen Zeit zusammenkommen sollen."

Besonders hart wird nach wie vor in der Asylpolitik gerungen. Die CSU will die Aussetzung des Familiennachzugs für Menschen mit eingeschränktem Schutz über März 2018 hinaus. Die Grünen halten das aus humanitären Gründen allerdings für untragbar.
Apropos Seehofer: CSU-Verhandler müssen auch immer wieder vor Journalisten die Frage beantworten, ob Seehofer überhaupt noch volles Pouvoir für Verhandlungen habe. Schließlich steht er daheim in Bayern schwer unter Druck.

CDU, CSU und FDP haben sich jedenfalls am Freitag eine Frist für eine Lösung bis spätestens Sonntagabend gesetzt. "Allen Beteiligten ist klar, dass wir Sonntag um 18.00 Uhr die Sache abschließen müssen", sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki am Freitag nach Beratungen in Berlin. Nur die Grünen äußerten sich nicht so deutlich hinsichtlich einer Frist bis zum Sonntagabend.

Kritik an den schleppenden Verhandlungen kommt von SPD-Chef Martin Schulz. "Ich appelliere jedenfalls an die beteiligten Parteien, dass sie zu Potte kommen sollen", sagt er. Denn: "Das wäre für Deutschland sicher gut, wenn wir eine stabile Regierung hätten." (Birgit Baumann aus Berlin, 17.11.2017)