"Ich lerne immer mehr, mein bester Freund zu sein, nicht mein größter Kritiker", sagt Autor Thomas Brezina.

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Thomas Brezina, "Alte Geister ruhen unsanft". € 18,00 / 416 Seiten. Salzburg, Ecowin 2017

Wien – "Die liebsten Bücher, die ich hatte, habe ich in mein Baumhaus mitgenommen", erzählt Thomas Brezina von seiner Kindheit. "Bis heute habe ich auf meinem Schreibtisch ein Schild, das mich daran erinnert, dass ich Bücher schreiben soll, die ich in mein Baumhaus mitgenommen hätte."

Ein Baumhaus ist sein Büro in Wien-Liesing nicht. Eher erinnert es an das Karl-Valentin-Zitat, dem zufolge Kunst schön sei, aber viel Arbeit mache. Zwischen Brachen, Schrottplatz und Gewerbepark tüftelt Brezina dort mit seinem Team an Formaten, die er dem ORF verkauft, dessen Kinderprogramm Okidoki er quasi im Alleingang befüllt, sowie an Produktion und Promotion seiner Bücher.

Sieben Jahre Idee im Kopf

Hier empfängt er auch zu Interviews. Es ist einer jener Bürotage, die er strikt von den Schreibtagen trennt. An solchen ist im Frühjahr Alte Geister ruhen unsanft entstanden, das neueste Abenteuer der Knickerbocker-Bande. 1990 gestartet, wurde die Serie weltweit zum Erfolg. Der Mythos zum vor einer Woche erschienenen 70. Fall besagt: Nach 20 Jahren Funkstille treffen Lilo, Poppi, Axel und Dominik erstmals und nicht allzu euphorisch wieder aufeinander. Denn einst ist Schlimmes passiert.

Sieben Jahre hatte Brezina die Idee im Kopf und war "etwas unsicher – so etwas hat ja niemand vor mir gemacht: aus einer Kinderserie heraus einen Band für Erwachsene zu schreiben". Angerichtet wird auf 400 Seiten: Die vier sind Mitte 30 und haben es mit gewohnt mysteriösen Vorgängen zu tun. Mehrere Rätsel auf Canon Island wollen (nicht) gelöst werden.

Vordergründig spukt es, hintergründig wird ein Mittel getestet, das Menschen zu superintelligenten, angstfreien Waffen machen soll, denn "wenn es darum ging, wer in Krieg und Terror die Oberhand behielt, standen Budgets zur Verfügung, deren Höhe nach oben hin kein Limit zu kennen schien".

Erwachsenenprobleme

Darein mischen sich holzschnitthaft Erwachsenenprobleme: Liebe, Leere, Alleinerziehender-Elternteil-Sein. "Ich musste mich nicht so beschränken, konnte über alles schreiben", vergleicht Brezina mit den Kinderbüchern. Zudem habe er "versucht, sprachlich einen Schritt zu gehen". Es wurde ein eher kleiner. In einfachen Sätzen reihen sich Handlungselemente wiewohl flott aneinander. Eine rudimentäre Vorstellung von Erwachsenenliteratur.

Doch würden es die Fans anders wollen? Knickerbocker-Bande4Immer zielt, wie der Name sagt, auf die kaufreizauslösende Nostalgie herangewachsener früherer Leser. Eine Sehnsucht nach kittbarer Welt muss es auch sein, die viele von ihnen Brezinas Auftritte auf Facebook und Instagram verfolgen lässt: Lächeln, Gute-Laune-Botschaften, Blumenriechfotos, Tiervideos. Das Gute triumphiert in jedem Fall – hier mit dem letzten Satz, dort auf den ersten Klick.

Der 54-Jährige strahlt auch beim Gespräch. Seit 1993 steht er für Sendungen vor der Kamera. Er weiß, wie das geht: wirken. Wenn er sich die Fragen anhört, wird sein Gesicht ganz stumm. Dann, als würde ein Schalter umgelegt, geht es an, die Antwort schießt heraus. Freundlich und energetisch. "Ich habe spannende Eröffnungskapitel, denke über erste Sätze oft tagelang nach. Kapitel enden mit Cliffhangern", sagt er. Seine Geschichten gebieten über funktionierende Mechanik. Er ebenfalls?

Wozu Leuten auf die Nerven gehen?

Das Büro mit dem originalen Tom Turbo, einem Flipperautomaten und bunten Möbeln wirkt wie eine heitere Auslage. "Wenn ich daraus etwas lerne, erzähle ich gerne über etwas. Aber wozu soll ich Leuten auf die Nerven gehen, wenn es mir mal nicht so gut geht? Nein, was ich zeige, ist positiv."

Ein bisschen "bigger than life" seien seine Geschichten. So kennt man ihn auch vom Bildschirm und sind die Zahlen zu seinem Werk: 550 Bücher dividiert durch gut 25 Schreibjahre ergeben fast zwei verfasste Bücher pro Monat. "Es gab Jahre, da war ich völlig versunken." Das ist nicht mehr so, noch immer sammelt er aber ständig Ideen. "Wenn ich dann am Schreibtisch sitze, habe ich 60 Prozent der Geschichte im Kopf." Er steckt sich jeden Tag ein Schreibziel, meistens 3000 Worte. Dieser Artikel hat etwa ein Drittel.

Mit 15 Jahren hat er für Geschichten erstmals einen Preis bekommen, wurde aber auch belächelt. "Ich war ein Stillerer, nie der Coole, eine Zeitlang ein bisschen dicklich und bin dafür verspottet worden, das war ganz schrecklich. Ich hatte aber ein großes Glück: Eltern, die für mich da waren und das, was ich machen wollte, gefördert haben." Helden seiner Bücher haben stets Eigenschaften, die ihre Schwächen aufwiegen. "Daran glaube ich."

Begeistern, nicht belehren

Nach der Matura fing er beim ORF an – "niemand wollte Kinderfernsehen machen, ich schon". Er wurde Regieassistent, Regisseur, begann für Sendungen zu schreiben, so klopfte ein Verlag an. Etwa 40 Millionen Bücher hat er bis heute verkauft. Aufgabe sei, "die Kinder zu begeistern, sie in sich selbst zu bestärken und sie zu begleiten. Aber niemals, sie zu belehren." Warum? "Weil ich das arrogant finde." Sie anleiten? Das sei wieder etwas anderes: "Gute Erziehung ist das Erlernen der Spielregeln des Zusammenlebens."

Wenn ihm jemand vorwirft, seinen Büchern fehlten sozial relevante Inhalte, kränkt ihn das? "Es gibt mittlerweile so viele, die mit meinen Büchern aufgewachsen sind und die mir sagen, dass sie eine Riesenbestärkung für sie waren. Das ist mir das Wichtigste." Könnte man einfach sagen, der Erfolg gibt ihm recht? Da schmunzelt er nur. Zudem hinge das, was er schreibe, vom Genre ab. Grundthemen seien stets: Wer bin ich? Wo stehe ich in einer Gruppe? Wie ist es mit der Schule? Den Eltern? Wenn ich mich unsicher fühle?

"Wie ich besser mit dem Leben und mit mir selber umgehe", habe er inzwischen gelernt. Im Sommer 2016 hat Brezina seinen Lebensgefährten geheiratet. Ob Kinderliteratur in Bezug auf Geschlechter und Backgrounds heute diverser sein muss als früher? "Ich habe vor 27 Jahren ein Mädchen als Oberhaupt einer Bande beschrieben, man sagte, Buben werden das ablehnen. Es kam anders. Viele Mädchen danken mir heute für das Vorbild. Aber das war keine vom Kopf erzwungene Geschichte, sondern ich fand die Dynamik gut." Gut geht es natürlich auch für die Knickerbocker aus. "Bitte, warum soll man ein Buch lesen, das einem keine Freude macht?" (Michael Wurmitzer, 16.11.2017)