Wien – Sind Journalisten auf Twitter zu wenig distanziert, braucht es in Redaktionen Social-Media-Guidelines? Darüber diskutierten am Dienstag Medienvertreter bei einer Veranstaltung der Initiative Qualität im Journalismus. Netzexpertin und Autorin Ingrid Brodnig war überrascht, wie stark Journalisten im vergangenen Wahlkampf Stellung bezogen und ihre Begeisterung für bestimmte Kandidaten ausgedrückt hätten. "Es war verblüffend, wie deutlich das war." Im Wahlkampf seien journalistische Standards vernachlässigt worden, sagt Hanna Herbst von "Vice". Das sei allerdings nicht nur im Wahlkampf, sondern zuletzt auch bei der #MeToo-Debatte so gewesen.

Martina Salomon, stellvertretende "Kurier"-Chefredakteurin, erklärte: "Ich glaube nicht, dass wir trennen können zwischen der Funktion als Journalistin und dem, was wir auf Sozialen Medien machen." Sie werde dort ja als "die Salomon vom 'Kurier'" wahrgenommen und nicht als Martina Salomon privat. Sie selbst sei eher mäßig auf Twitter ("Filterblase der Journalisten") und mehr auf Facebook unterwegs. Dort könne sie eher ihre Leser erreichen.

Wolf: "Filterblasen baut man sich ja selbst"

"ZiB 2"-Moderator Armin Wolf meinte: "Vielleicht bin ich abgebrüht oder emotionsfrei. Aber ich fand das alles nicht so schlimm." Im Vergleich etwa zu dem, was "Krone" und "Österreich" drucken würden, sei Twitter ein "hochreflektiertes Philosophieseminar." Twitter findet er überschätzt, "das Leben spielt sich auf Facebook ab". Auch das Argument, man sei gefangen in Filterblasen, will er für Twitter nicht gelten lassen. Weil: Filterblasen "baut man sich ja selber".

Im Wahlkampf hat sich Brodnig auf Social-Media-Plattformen zurückgehalten, sagt sie. Bevor man etwas auf Twitter oder Facebook poste, solle man sich fragen, ob "meine Meinung wirklich noch notwendig" sei. Regeln für die Social-Media-Nutzung von Journalisten findet sie gut, auch "um dem Redakteur eine Sicherheit zu geben". Solche Guidelines seien auch ein Schutz für Journalisten.

"Tu nix Dummes"

Diese Regeln sollten allerdings nicht zu streng ausfallen und die journalistische Freiheit nicht einschränken. Für den ORF sollten diese Guidelines so verfasst werden, dass sie nicht zu einem Mittel werden, um noch mehr politischen Druck auszuüben, meint Brodnig. Im ORF komme der Ruf nach strengeren Social-Media-Guidelines "aus berechenbaren Ecken", sagt Wolf. Sie würden nur von parteinominierten Stiftungsräten gefordert. "Da habe ich den Verdacht, dass das oberste Kriterium nicht unbedingt die journalistische Glaubwürdigkeit ist." Mit "Tu nix Dummes" fasst er die geltenden Social-Media-Regeln des ORF zusammen. Das reiche auch.

Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen, sprach von einer "Gratwanderung", auch wegen der Emotionalisierung in Social Media. Die Diskussionskultur trage zur "Verrohung der Gesellschaft bei, auch des Umgangstons". Sein Rat: "Was man in der analogen Welt nicht tut, sollte man auch in der digitalen Welt nicht tun." (red, 14.11.2017)