Kurz und die FPÖ: Warum sich nur an einen Partner ketten, wenn es andere Möglichkeiten gibt?

APA

Bundespräsident Alexander Van der Bellen sollte wagen, was Wolfgang Müller-Funk im STANDARD vorgeschlagen hat: Sebastian Kurz zu einer Minderheitsregierung zu ermutigen. Wenn dieser sich's zutraut, wäre das eine gute Lösung. Auch für Parteiungebundene mit Ambitionen ist in so einer Regierung Platz, sollten die Wunschkandidaten für ein Regierungsamt nicht in der FPÖ zu finden sein, was in einer Koalition unwahrscheinlich ist. In Skandinavien ist die konservative Minderheitsregierung durchaus der Regelfall.

Man kann aus deren Beispielen viel lernen, z. B. dass so zu regieren mühsam ist, aber auch durchaus innovativ und lohnend für das Land (FAZ, "Wäre eine Minderheitsregierung gut für Deutschland?"). Kooperative Varianten bedeuten mit Verträgen, die aber keine formalen Koalitionen (inklusive Regierungsbeteiligungen) sind, über das ganze politische Spektrum zu regieren bis hin zu einer Regenbogenkoalition wie in Finnland.

Mühsame Koalitionsverhandlungen

Mindestens so mühsam ist es aber, Koalitionsverhandlungen zu führen, wohl wissend, dass der Verhandlungspartner eine Hidden Agenda hat, beim Unterschreiben die Finger hinterm Rücken kreuzt und ex post mit extravaganten Auslegungen des Vertrages kommt. Alles schon da gewesen, und das nicht nur einmal.

Kooperativ muss nicht heißen, dass man Verträge über das ganze politische Spektrum schließt. Man kann auch konstruktiv und auf Projekte und Großprojekte bezogen regieren. Außenpolitisch gesehen wäre in jedem Fall das Standing einer ambitionierten innovativen Minderheitsregierung ohne populistischen Drall und Rechtsruck in der EU und in ganz Europa überragend. Alle Parteien (außer vielleicht die FPÖ) könnten damit leben, weil sie dabei nicht desavouiert werden.

Zu lange hat man sich für Österreich nur eine dickbäuchige Zweierkoalition mit Zweidrittelmehrheiten für die Regierungsparteien vorstellen können. Quasi das Komfortmodell mit Hosenträger und Gürtel abgesichert. Die war aber schon ab 1999 in der 21. Gesetzgebungsperiode (ÖVP/FPÖ-Regierung bei Mandatsgleichstand und weniger Stimmen für die ÖVP) und dann in den vergangenen beiden Gesetzgebungsperioden (24. und 25. mit SPÖ/ÖVP-Regierung) nicht mehr gegeben und fällt auch für die kommende Gesetzgebungsperiode weg.

Rasant und oft in die falsche Richtung

Das Stolpern kleiner Koalitionen, die sich nur auf einfache Mehrheiten verlassen können, begann mit Schwarz-Blau (eigentlich Blau-Schwarz), die rasant unterwegs war ("Speed kills") und oft in die falsche Richtung. Ihre Korruptionsanfälligkeit beschäftigt heute noch die Korruptionsstaatsanwaltschaft und das Parlament, das selbstverständlich in zur Aufklärung eingerichteten Ausschüssen eine "lückenlose Aufklärung" des jeweiligen Falles versprach. Ein schwer einzuhaltendes Versprechen, wenn man eine Koalition aller Beteiligten in den entsprechenden Ausschüssen hat. Und dann noch vorgezogene Wahlen dringend nötig wurden, wegen des furchtbaren Stillstands, dessen Überwindung nicht noch ein Dreivierteljahr bis zum regulären Wahltermin hätte warten können (obwohl im Frühjahr und Herbst noch schöne Erfolge zu verzeichnen waren). Man wird sehen, was Kern und Mitterlehner nicht konnten, aber Kurz und Strache schon können werden, und in welcher demokratischen Qualität. Es bleibt nur zu hoffen, dass nicht schon wieder so wie damals "Speed kills", das Durchpeitschen ohne Diskussion, die Methode der Wahl sein wird.

Zweidrittelmehrheit

Warum also wieder eine kleine Koalition, mit starren Verträgen und internen Reibereien, die in diesem Szenario zu erwarten wären? Mit einer fair angelegten Minderheitsregierung tun sich neue Chance für Österreich und für Sebastian Kurz auf, der ein neues Regieren verspricht, das nun auch von ihm erwartet wird. In einer Minderheitsregierung sind für Kurz und sein Team mehr Zweidrittelmehrheiten möglich als mit einem Klotz am Bein. Was mit Rot geht, geht mit Blau nicht – vice versa. Auch die Neos und die Liste, die derzeit ohne Namen ist, wären aufgewertet. Die Regierung muss sich Mehrheiten für ihre Vorhaben im Parlament suchen und nicht ausschließlich in Koalitionssitzungen und im Ministerrat, die dann oft, von wem und wie auch immer, ferngesteuert waren (Minister im Ministerrat sitzend mit Handy in der Hand, auf eine Mitteilung wartend, wie er stimmen soll).

Ein Obstakel kann freilich auch der Klubzwang werden, aber selbst dafür sollte es intelligente Lösungen geben. Mehr Abgeordnete mit eigener Meinung auf den Listen an wählbarer Stelle und weniger Stimmvieh für den Klub wären ein Anfang. (Mit "Hände falten, Gosch'n halten" hat das einmal ein konservativer Abgeordneter trefflich charakterisiert.) Immerhin waren in letzter Zeit mehr "wilde" Abgeordnete zu sehen, die ihrem Gewissen folgend dazu wurden und nicht unter die Kategorie psychisch auffällig, dafür aber politisch ambitioniert fielen.

Mut zu neuen Wegen

Und last but not least – Kreisky war der Erste, der eine Minderheitsregierung gewagt und gewonnen hat. Österreich ist in der Folge damit beileibe nicht schlecht gefahren. Die Skandinavier mit ihren konservativen Minderheitsregierungen auch nicht, trotz Mühen und Ärger mit Populisten. Also warum nicht? Mit einem alten Rucksack am Rücken schaut man schnell sehr alt aus. Aber es gehört der Mut dazu, den man braucht, um wirklich neue Wege zu gehen. Höchste Zeit, dass das Regieren innovativer wird und den koalitionären Stelzengang überwindet. (Adolf Stepan, 12.11.2017)