Am 11. November feiert Polen seine Unabhängigkeit von den drei Besatzungsmächten Preußen, Russland und Österreich-Ungarn im Jahr 1918. Zuvor war das Land für 123 Jahre von der europäischen Landkarte verschwunden.

Im Zweiten Weltkrieg wurde Polen vom Deutschen Reich überfallen, im darauffolgenden Sozialismus unter dem Diktat der Sowjetunion wurde der Tag nicht mehr begangen. Erst 1989/90 erlangte Polen seine endgültige Unabhängigkeit, der 11. November war wieder ein Tag der Freude.

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Zum 99. Jubiläum am Samstag fanden insgesamt 12 Veranstaltungen statt. Im Bild der Unabhängigkeits-Lauf an der großen Jana-Pawla-Allee, benannt nach dem ersten (und einzigen) polnischen Papts Karol Wojtala / Johannes Paul II. Bis heute ist man im tiefreligiösen Polen stolz auf ihn.

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Am Pilsudski-Platz am Rande der Innenstadt fand die offizielle Zeremonie von Regierungsspitze, Präsident Andrzej Duda und hohen Militärs statt – das Gelände war weitläufig für den Verkehr abgesperrt.

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Mit Kranzniederlegungen am Grab des Unbekannten Soldaten wurde den Toten des 2. Weltkriegs gedacht. Auch Marshall Josef Pilsudski wurde geehrt, der das Land nach dem 1. Weltkrieg in die langersehnte Unabhängigkeit führte.

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Während die ersten Reihen dicht gedrängt waren, füllten die Schaulustigen den großen Platz nur schütter. Vor allem Familien und Ältere sind gekommen, insgesamt nur wenige Tausend.

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Die Stimmung ist feierlich, andächtig wurde die Nationalhymne gesungen und den Reden gelauscht. Danach feuerten sechs Haubitzen in die Luft – so laut, dass man es tief im Bauch spürte.

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Ganz anders die Situation anderthalb Kilometer entfernt, an der großen Aleja Jerozilimskie. Rund 60.000 selbsternannte Patrioten versammelten sich hier für den Marsz Niedpoległości – es ist der wahrscheinlich größte Aufmarsch von Ultrarechten Europas.

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Schon am frühen Nachmittag flogen hunderte Feuerwerkskörper, die Luft war von den vielen Bengalos violett eingefärbt. Es waren fast ausschließlich Männer hier, junge wie alte. Viele reisten stundenlang durch halb Polen um dabei zu sein, auch aus Schweden, Italien und Ungarn kamen Rechtsextreme angereist.

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Das Besondere: Der Aufmarsch ist inmitten Warschaus, von Stadt-, Land- und Bundesregierung geduldet, wurde von höchster Stelle als patriotische Veranstaltung beworben und wurde von einer Tausendschaft an Polizisten geschützt. Dass die Teilnehmer und Gastredner offen rassistische und anti-islamische Reden schwangen, störte niemanden.

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Viele eingesessene Warschauer sagten, dass sie am 11. November die Innenstadt lieber meiden. Zu laut, zu aggressiv seien die Teilnehmer. "Viele kommen nur, um zu stänkern und sich zu prügeln", sagt ein älterer Pole, der sich nur die Kranzniederlegung angesehen hat, sich den Marsch aber sparte.

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"Es ist ein Problem, dass Stadt und Land all das zulassen, den offenen Rassimus dulden und herunterspielen", sagt Anna Tatar. Sie arbeitet für die NGO "Never Again!", die einzige Stelle in Polen, die rechtsextreme Ausschreitungen sammelt und dokumentiert.

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Seit der europäischen Flüchtlingskrise vor zwei Jahren hätten derartige Übergriffe massiv zugenommen, auch und vor allem, weil die Regierungspolitik Angst vor dem Islam schürt und die meisten Medien sowie die in Polen mächtige katholische Kirche aufgesprungen sind.

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Den etwa 60.000 rechten des Marsch stand eine deutlich kleinere linke Gegendemo mit höchstens 1.000 Demonstranten gegenüber, nur wenige Hundert Meter entfernt. Es war eine bunte Mischung aus Altlinken, Schülern und Studenten und Oppositionspolitikern, die Stimmung war deutlich ausgelassener und fröhlicher als am Marsch.

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Die Regierungsgegner – im Bild ein Aktivist des Komitees zur Rettung der Demokratie (KOD) – freilich haben einen schweren Stand, ist doch die Opposition völlig zersplittert und die rechtsnationalistische Regierungspartei "Recht und Ordnung" (PiS) nach wie vor sehr beliebt – 40 Prozent der Bevölkerung würden sie laut Umfragen wählen. Populistische und langfristig kaum finanzierbare Maßnahmen wie das Absenken des Pensionsalters von 65 auf 60 Jahre sowie 500 Zloty (etwa 125 Euro) Kindergeld pro Kind tragen Früchte, vor allem in strukturschwächeren Gebieten auf dem Land.

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"Ich bin hier, weil die Rechten immer mehr zu sagen haben in Polen. Es wird jedes Jahr schlimmer", sagt Roża Dembajka. Die 15-Jährige Gymnasiastin war zum ersten Mal hier, will sich gegen die Vereinnahmung dieses Tags durch die Rechten wehren und für die persönliche Freiheit demonstrieren.

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Das Demonstrieren wurde für viele liberalere Polen bereits zum Dauerzustand. Vergangenes Jahr nahmen Hunderttausende, vor allem Frauen, am "Czarny Protest" (schwarzer Protest) teil, als die Regierung die ohnehin schon extrem restriktiven Abtreibungs-Gesetze verschärfen wollte. Weitere Proteste gegen Reformen im Bildungssystem, eine Beschneidung der Freiheit der Justiz sowie Einsparungen im ohnehin desolaten Gesundheitssystem folgten in diesem Jahr.

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Die Gegendemo wurde von einem Großaufgebot von 6.000 Polizisten in schwerer Montur geschützt. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Gewaltausbrüchen am Marsch und an seinem Rand. Auch wenn die Gegenseite beteuert, dass die Linken begonnen hätten: Videos belegen das Gegenteil, zeigen wie die Rechten 2013 einen großen Regenbogen, der für ein liberales Europa steht, abfackeln und ein Zentrum einer linken Gruppierung attackieren. Heuer blieb es, wie schon im letzten Jahr, vergleichsweise ruhig. (Florian Bayer, 12.11.2017)

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