Wien – Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch die Möglichkeit für ein drittes Geschlecht im Geburtenregister verlangt. Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat eine Entscheidung für 2018 in Aussicht gestellt. Darauf solle der Gesetzgeber jedoch nicht warten und jetzt die Initiative ergreifen, sagte Volksanwalt Günther Kräuter am Donnerstag. Die deutsche Entscheidung bezeichnet er als wegweisend.

Dafür spricht sich auch die Bioethikkommission aus. In seiner Sitzung Ende Oktober hat das Beratungsgremium im Bundeskanzleramt eine einstimmige Stellungnahme zu Intersexualität und Transidentität verabschiedet. Die Empfehlungen sollen intersexuelle Menschen vor ungewollten medizinischen Eingriffen bewahren, Eltern betroffener Kinder unterstützen und intersexuelle und transidente Menschen vor Diskriminierung schützen. Die Einführung einer dritten Option neben "männlich" und "weiblich" in Personenstandsregistern wird darin ausdrücklich empfohlen.

"Verletzung von Menschenrechten"

"Jedes Jahr werden in Österreich rund 30 Kinder geboren, deren Geschlechtsmerkmale nicht den gängigen Normen für männlich oder weiblich entsprechen", sagt Kräuter. "Weder die Medizin noch die Rechtsordnung tragen dem Umstand Rechnung, dass es ein drittes Geschlecht gibt." Frühzeitige geschlechtszuordnende Operationen würden massive Verletzungen von Menschenrechten verursachen.

Auf Drängen der Volksanwaltschaft habe sich im Gesundheitsministerium eine Arbeitsgruppe mit Medizinern, Experten und Selbstvertretern zusammengefunden, um Richtlinien für den medizinischen Bereich zu entwickeln, berichtet der Volksanwalt. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger habe eine Entscheidung für 2018 angekündigt. Eine rasche Initiative des Gesetzgebers wäre aber "ein wichtiges Signal im Sinne von Antidiskriminierung und Schutz von Persönlichkeits- und Menschenrechten", sagt Kräuter.

Plattformen der Betroffenen begrüßen Entscheidung

Die Selbstvertretungsorganisationen Vimö, Plattform Intersex Österreich und Hosi Salzburg begrüßen unterdessen den Schritt der deutschen Verfassungshüter. "Es ist höchste Zeit, die Rechte jeder Person anzuerkennen, die sich nicht ausschließlich männlich oder weiblich identifiziert, unabhängig von ihren Geschlechtsmerkmalen", sagt Tobias Humer, Obmensch des Vereins intergeschlechtlicher Menschen Österreich (Vimö). "Wenn überhaupt, sollte ein Geschlechtseintrag nur freiwillig sein und auf der Selbstbestimmung der jeweiligen Person beruhen." Die deutsche Entscheidung könne "auch für Österreich wegweisend sein", sagt Intersex-Aktivist Alex Jürgen, der gerade versucht, über den Rechtsweg eine Änderung seines Personenstands zu erkämpfen. "Möge Österreich sich nicht länger zieren und meine Pass- und Geburtsurkunde-Fälle ebenso positiv entscheiden."

Bisherige Versuche wurden abschlägig beschieden. So hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich seinen Antrag auf Eintrag eines dritten Geschlechts im Personenstandsregister im Oktober 2016 abgelehnt. Die Gesamtrechtsordnung gehe davon aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist, lautete die Begründung. Die Revision wurde ausdrücklich zugelassen, das Verfahren liegt beim VfGH.

Das deutsche Verfassungsgericht hat entschieden, dass neben männlich und weiblich künftig ein dritter Geschlechtseintrag im Geburtenregister möglich sein muss, etwa "inter" oder "divers". Alternativ könne der Gesetzgeber generell auf einen Geschlechtseintrag verzichten. Der deutsche Bundestag muss bis Ende nächsten Jahres eine Lösung finden. (APA, 9.11.2017)