Die emiratische Künstlerin Sarah Al Agroobi.

Foto: Stefan Brändle

Nein, der Louvre Abu Dhabi ist kein Ufo, das von einem fremden Planeten kommend in der arabischen Wüste gelandet ist. Das 180 Meter breite Kuppeldach mag zwar an eine (umgekehrte) fliegende Untertasse erinnern. Doch die emiratische Künstlerin Sarah Al Agroobi stellt klar: "Der Louvre fällt in Abu Dhabi beileibe nicht in eine Kulturwüste. Traditionelle Kunstformen sind viel älter als unser junges Land; und in der zeitgenössischen Kunst herrscht Aufbruchstimmung."

Zu sehen ist das diese Woche an der seit 2007 bestehenden Abu Dhabi Art, der alljährlichen Kunstausstellung der Millionenstadt. Sie wurde bewusst parallel zur Louvre-Eröffnung organisiert, existiert aber unabhängig davon. In den 45 Galerien aus 18 Ländern stechen lokale Künstler wie Agroobi heraus. Die junge, westlich gekleidete Frau, deren offene Haare fast den Gürtel erreichen, zeigt auf ihre Wandbilder, auf denen sich verwischte Schriftzüge wie im Sand verlieren; dann erzählt sie von ihren aus Sand und Harz geformten "Desert roses": "Darin spiegelt sich unser Kulturerbe, unsere multiple, so reiche und doch stets bedrohte Identität." Denn ihr Land bestehe aus sieben Emiraten, und zudem sei es so multikulturell wie nur möglich, machten doch die Staatsbürger nicht einmal ein Zehntel der Bevölkerung aus.

"Hier findet ein Austausch statt"

Und was meint Agroobi zum vielgehörten Einwand, das reiche Abu Dhabi habe den Louvre-Annex sozusagen gekauft? "Das stimmt schon deshalb nicht, weil Frankreich den Namen 'Louvre' nur auf dreißig Jahre verpachtet hat", meint die grazile Künstlerin. "Diese Sicht ist aber auch kulturell betrachtet falsch. Hier findet ein Austausch statt. Es stimmt, wir nehmen nur das Beste vom Besten; aber wir vermitteln den französischen Louvre-Beratern auch Impulse aus unserer eigenen Kunst. Das ist ein Geben und Nehmen."

Europäische Kunstexperten, die von Beginn an bei der Abu Dhabi Art dabei waren, preisen ebenfalls die künstlerische Kreativität – die "längst nicht nur finanziell motiviert" sei, wie Xenia Geroulanos von der aus Salzburg stammenden Galerie Thaddäus Ropac meint: "Sie nährt sich aus dem rasanten Wandel Abu Dhabis innerhalb von drei Generationen – einer sehr konservativen der Großväter, einer mittleren, die bereits zweisprachig groß geworden ist, und einer jungen, die völlig global heranwächst." Das werde in vielerlei Beziehungen ersichtlich, meint die in der Schweiz aufgewachsene, seit fünf Jahren zur Abu Dhabi Art pilgernde Galeristin. "Junge Frauen können heute in Abu Dhabi sogar im Minirock ausgehen, wenn sie wollen. Das wäre vor kurzem noch nicht möglich gewesen."

Die Kölner Galeristin Brigitte Schenk, eine der europäischen Pionierinnen in Abu Dhabi, hat den Wandel selbst erlebt. "Das Emirat ist mittlerweile offener und toleranter als die anderen Golfstaaten. Ich erinnere mich, vor zehn Jahren konnten selbst die Scheichinnen die Art-Show nur von Mitternacht bis zwei Uhr in der Früh besuchen, wenn die Männer weg waren. Schauen Sie nur – jetzt kommen die Frauen zusammen mit den Männern!"

Westliche Denkschubladen

Dass der Louvre am Persischen Golf wie ein Fremdkörper wirke, findet Schenk nicht. "Das sind westliche Denkschubladen. In Australien oder Asien haben die Museen nicht mehr Bezug zu ihrem Standort als hier in Abu Dhabi."

Auch Schenk weist den Einwand, dass hier in Sachen Louvre das Geld regiere, vehement zurück: "Ich sehe nicht, was falsch daran sein solle, dass die Emirati 800 Millionen in den Kauf und die Leihe von Kunstwerken in ihrem neuen Louvre stecken." Schließlich handle es sich auch nicht um Raubkunst, wie sie im Pariser Louvre – namentlich durch die Ägypten-Expedition Napoleons genährt – zu sehen sei.

Shahram Karimi, einer der vier nahöstlichen Künstler in Schenks Galerieauftritt, erklärt, Abu Dhabi sei kunstinteressierter als Dubai, das benachbarte, protzigere Emirat. "Dort bevorzugen die Ausstellungsbesucher Teppiche, Kalligrafien oder offenen Kitsch. Hier in Abu Dhabi geht es wirklich um Kunst, weniger ums Geld", meint der Iraner, um nach kurzer Überlegung anzufügen: "Etwa so wie in New York oder Basel." (Stefan Brändle, 8.11.2017)