Ob zu Hause oder bei der Arbeit: Stehzeiten werden Halter von Elektrofahrzeugen noch intensiver als bisher zum Laden nützen. Ob Energiekonzerne noch groß mitschneiden können, ist die Frage.

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Wien – Zentral versus dezentral, erneuerbar statt fossil: Die Umwälzung auf den Energiemärkten wird keinen Draht neben dem anderen lassen und die arrivierten Energieversorger mehr Geschäft kosten, als die sich vielleicht denken. Davon geht zumindest Michael Stadler aus, der erst im Frühjahr nach zehn Jahren Energieforschung in Kalifornien nach Österreich zurückgekehrt ist.

Während sich der Wind in den USA seit der Wahl von Donald Trump ins Weiße Haus gedreht hat und Klimaskeptiker wieder mehr Gehör finden, habe Europa gerade jetzt die große Chance, aufzutrumpfen: "Indem man möglichst viel in Forschung investiert – auch und gerade im Energiebereich – und dann Produkte, Anwendungen und Lösungen weltweit exportiert", sagte Stadler. "China scheint erkannt zu haben, wie wichtig das ist. Bei Europa bin ich mir noch nicht ganz sicher."

Forscher mit Auszeichnung

Stadler war Leiter einer vierzigköpfigen Energietechnik-Forschungsgruppe am Lawrence Berkeley National Laboratory der gleichnamigen Universität in Kalifornien. Er wurde 2016 vom damaligen Präsidenten Barack Obama mit der höchsten Auszeichnung für Nachwuchswissenschafter (Early Career Award) geehrt.

Indem Energie zunehmend dort produziert werde, wo sie tatsächlich gebraucht wird, könne man enorme Kosten sparen und Probleme von vornherein kleinhalten, die ansonsten auszuufern drohten. Statt großer Überlandleitungen, die noch dazu auf verstärkten Widerstand in der Bevölkerung stoßen, genüge in einer Welt dezentraler Stromerzeugung und -verteilung ein Geflecht aus miteinander verbundenen Mikronetzen, damit das Werkl laufe.

Ein Paradebeispiel in dem Zusammenhang sei die im Norden Deutschlands gewonnene Windenergie. Diesen Strom effizient in die Verbrauchszentren des Südens zu bringen sei mit hohen Kosten verbunden, weil viele Hundert Kilometer Übertragungsleitungen gebaut werden müssen.

Mehr lokale Wertschöpfung

"Würden wir uns etwas wegbewegen von der Stromautobahn hin zu mehr lokaler Stromproduktion, hätten wir viele Probleme nicht", sagte Stadler. "Es würde zu höherer lokaler Wertschöpfung kommen, weil örtliche Unternehmen besser eingebunden werden, neue Energieformen und Technologien ließen sich entwickeln, die man dann exportieren und damit doppelt profitieren könne."

Die entscheidende Frage sei: "Wollen wir weiter nur zukaufen oder doch Know-how, das wir brauchen, im Land selbst aufbauen, um es dann zum Beispiel nach Asien oder Afrika zu exportieren, wo die Dezentralisierung stärker zu spüren ist als in Europa."

Mikronetze seien zudem weniger störanfällig als Großtechnologien, die Auswirkungen im Falle eines Gebrechens eingrenzbar. "Sollte es einen Cyberangriff auf ein herkömmliches Energiesystem geben, ist bald einmal das halbe Land lahmgelegt. Trifft es ein Mikronetz, bleiben die Nachbarnetze verschont", sagte Stadler.

Stecker in der Garage, PV-Anlage am Dach

Der entscheidende Impuls, der die Dezentralisierung in Europa vorantreiben werde, gehe vom Elektroauto aus. Stadler: "Wir werden die Elektroautos großflächig nur verkraften, wenn wir sie dezentral laden." Es mache keinen Sinn, wenn in jedem Gebäude zwar ein E-Auto stehe, aber weder eine PV-Anlage auf dem Dach noch ein Speicher im Keller vorhanden seien und erst wieder eine Hochspannungsleitung zu jeder Gemeinde geführt werden müsse.

Die fortschreitende Dezentralisierung im Zuge der Energiewende bringe das Geschäftsmodell vieler traditioneller Energieversorger insofern ins Wanken, als sich viele Haushalte den benötigten Strom künftig selbst vom Dach holen würden. Die E-Wirtschaft müsse sich um neue Geschäftsfelder umsehen, meint Stadler, der in Wieselburg im K1 Kompetenzzentrum Bioenergy 2020+ forscht.

Faktencheck Energiewende

Ein aktualisierter "Faktencheck Energiewende", der vom Klima- und Energiefonds zusammen mit Erneuerbare Energie Österreich durchgeführt wurde, räumt mit einigen Mythen auf, etwa dass die Ökostromförderung Planwirtschaft sei und nicht marktkonform. Zu viele CO2-emittierende Großkraftwerke würden geschützt, meint auch Stadler. "Es wäre viel effizienter, wenn nur große Kraftwerke CO2-mäßig belastet würden und der Rest sich am freien Markt einpendeln könnte. Aber so weit sind wir noch nicht." (Günther Strobl, 8.11.2017)