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"Vom Winde verweht" (1939) stand für viele Kolonialepen Pate. In diesen wird alten Herrschaftsverhältnissen nachgetrauert, ein Plot, den viele Filme nachahmen.

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Gabriele Dietze, "Sexualpolitik. Verflechtungen von Race und Gender". € 34,90 / 365 Seiten. Campus, Frankfurt 2017

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Dietze: "Köln wurde für eine Angsterzählung genutzt."

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Wien/Berlin – Sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt wird derzeit vor allem in der Filmbranche und in der Politik aufmerksam beleuchtet. Dieser Fokus, ausgelöst durch die Vorwürfe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, löst damit den Blick auf einen anderen Schwerpunkt ab: jenen auf Männer mit Migrationshintergrund als Gewalttäter. Seit der Silvesternacht in Köln 2015/2016, in der Frauen Unmengen an Übergriffen meldeten, wurde sexuelle Gewalt oft als Problem "kultureller Differenzen" thematisiert – womit auch rassistische Stereotype befeuert wurden, wie Geschlechterforscherinnen immer wieder warnten.

Gabriele Dietze, Kulturwissenschafterin und Gender-Theoretikerin an der Humboldt-Universität zu Berlin, befasst sich seit vielen Jahren mit der Kombination von Rassismus und Geschlechterfragen. In ihrem Buch Weiße Frauen in Bewegung. Genealogien und Konkurrenzen von Race und Genderpolitiken (2013) ging sie etwa der Frage nach, wie Geschlecht und "Race" als Diskriminierungskategorien gegeneinander ausgespielt werden.

Dafür analysierte sie etwa den aufsehenerregenden Prozess gegen O. J. Simpson oder den US-Vorwahlkampf 2007/2008 zwischen Barack Obama und Hillary Clinton. Bei diesem hätten sich die Gleichheitsanforderungen von schwarzen Menschen und Frauen Konkurrenz gemacht und sich so gegenseitig geschwächt. In ihrem kürzlich erschienenen Buch Sexualpolitik. Verflechtungen von Race und Gender befasst sich Dietze nun damit, wie Sexualität sowohl für Diskriminierung von Frauen als auch von nicht-weißen Menschen genutzt wird.

Der Begriff "Race" im Titel ihres Buches diene dabei eher als Hilfsausdruck, betont Dietze, die lieber von rassisierten Personen spricht. Denn das Problem wäre nicht, so Dietze, dass jemand "anders" aussähe, sondern dass es eine Absicht zur Unterdrückung gäbe. "Das gilt auch für die Diskriminierung von Frauen, für die ebenso wenig das Geschlecht die Ursache ist." Ihren Aufsätzen stellt Dietze eine Begriffsgeschichte des Terminus "Sexualpolitik" und eine Analyse der Verknüpfung von antimuslimischem Rassismus und westlichen Emanzipationsvorstellungen voran.

Unbehagen schaffen

Wie aktuell das Thema ist, zeigten in Österreich die Nationalratswahlen im Herbst. Die Verknüpfung von Sicherheits- und Frauenthemen, wie sie die FPÖ schon seit Jahren herstellt, indem sie Gewalt gegen Frauen vorwiegend als "zugewandertes" Problem durch Migration und Flüchtlinge thematisiert, wurde in diesem Wahlkampf auch von der ÖVP aufgegriffen.

Der Topos der bedrohten weißen Frau, deren sexuelle Integrität vom arabischen Mann bedroht wird, hat somit das rechtspopulistische Terrain längst verlassen. Unter dem Begriff "Sexualpolitik" befassen sich Genderforscherinnen mit genau solchen Vorstellungen von sexuell bedrohlichen Gruppen, wie sie politisch instrumentalisiert werden. "Über die Beurteilung von Sexualität werden bestimmte Gruppen diskriminiert", erklärt Dietze den Arbeitsbereich "Sexualpolitik" im Gespräch mit dem STANDARD .

Ein vertrautes Beispiel für Diskriminierung via Sexualpolitik sind Frauen. "Sie sind jene Bevölkerungsgruppe, die am offensichtlichsten als sexuelle und auch als sexuell defizitäre Wesen betrachtet wurden", sagt Dietze. US-Amerikanerinnen, allen voran die im September verstorbene Literaturwissenschafterin und Schriftstellerin Kate Millett, haben daher den Begriff "Sexual Politics" geprägt. Damit sollte in den Fokus gerückt werden, dass Frauen über ihren Körper als untergeordnete Wesen betrachtet werden "und dass das keine natürliche Tatsache ist", so Dietze, sondern "eine politische Tatsache – ein politischer Wille, Frauen, aber auch schwarze, intersexuelle oder homosexuelle Menschen zu diskriminieren".

Die sexuell gefährdete weiße Frau

Welche große Rolle die Sexualisierung von Race spielt, zeigt sich besonders deutlich an der langen Geschichte der Sexualisierung von schwarzen Menschen, deren Sexualität gern als "ungezügelt" interpretiert wurde. So wurden Soldaten der französischen Besatzungstruppen, die aus den Kolonialarmeen kamen, in vielen Karikaturen in extremer Weise als Vergewaltiger dargestellt. "Sexualisierung von Race ist ein wichtiges Mittel, Angst und Unbehagen zu schaffen", meint Dietze. "Bei Köln wurden diese Verknüpfungen ganz deutlich: Die sexuell gefährdete weiße Frau und der sexuell gefährliche Migrant wurden in eine Angsterzählung zusammengeschmolzen."

Dietze, die viele Jahre in den USA geforscht hat, sieht die enge Verknüpfung von Race und Gender in den Vereinigten Staaten weitaus stärker im Bewusstsein verankert als in Europa. "Dass schwarze Menschen sexualisiert werden, weiß man in den USA aus der Geschichte."

Gender- und Race in der Popkultur

Das "Lynching" von schwarzen Menschen gehört zu den dunklen Kapiteln der jüngeren US-amerikanischen Vergangenheit, das immer unter dem Vorwand stattgefunden hat, eine weiße Frau wäre von einem schwarzen Mann vergewaltigt worden. In Europa müsse man Diskriminierung mittels Sexualisierung eher "ausgraben". "Man hat vergessen, wie stark Antisemitismus mit Sexualisierung der 'Schönen Jüdin' oder Phantasmen von Ritualmord an Kindern verknüpft war oder welche Bedrohungsszenarien mit der Anwesenheit schwarzer Besatzungssoldaten verknüpft waren."

Dabei wurden durch die Populärkultur einige eindrückliche Gender- und Race-Verbindungen aus den USA auch nach Europa transportiert. Bekanntestes und vielanalysiertes Beispiel ist Vom Winde verweht. Für das Genre des Kolonialepos, in dem verlorengegangene Herrschaftsgebiete und die Macht über eine bestimmte Gruppe von Menschen betrauert wird, bildet Vom Winde verweht eine Art Schablone, schreibt Dietze in ihrem Buch.

Kolonialschinken

Und diese Schablone schien auch für etliche deutsche Produktionen zu passen. Dietze: "Christine Neubauer, Iris Berben – wer auch immer im deutschen Film eine gewisse Autorität genießt, hat offenbar einen solchen Film gemacht", dessen Inhalt in etwa so lautet: Eine weiße Frau übernimmt eine kaputte Farm irgendwo in Afrika und schützt so die Arbeitsplätze der schwarzen Bediensteten, ein böser weißer Mann wurde von der Heldin abgelehnt, ein guter weißer Mann ist ihr ans Herz gewachsen – "meistens ein Wildhüter", ergänzt Dietze. "Warum werden diese Frauen als Retterinnen und Feministinnen inszeniert?", fragte sie sich anhand zahlreicher Beispiele, von Australia (2008) mit Nicole Kidman bis hin zu den erwähnten deutschen TV-Filmen, wie etwa Afrika im Herzen (2008) mit Christine Neubauer.

Diese Filme seien eine "popkulturelle Verschmelzung von Safaritourismus, Kolonialnostalgie und NGO-Herren-Kaste", die sich auf die "leidende weiße Farmerin zuspitzt", schreibt sie. Große historische Ungerechtigkeit würden hier sentimentalisiert, kritisiert Gabriele Dietze. Vor diesen Ungerechtigkeiten verschließe man in diesen Filmromanzen Augen und Ohren. (Beate Hausbichler, 8.11.2017)