Wien – Ist es sexuelle Belästigung, wenn man eine Kollegin mehrmals wöchentlich an sich zieht und ihr einen Kuss auf die Lippen drückt? Nein, zeigte sich bei einem Prozess, der vor einigen Wochen in Wien verhandelt wurde. Der 51-jährige Angeklagte, der in einem Betrieb der öffentlichen Hand arbeitet, bekannte sich zwar sogar zum angeklagten Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs für schuldig, verurteilt wurde er allerdings wegen Nötigung.

Denn, wie Verteidiger Wolfgang Haas argumentierte: Für die sexuelle Belästigung sei es nötig, eine Person "durch eine geschlechtliche Handlung" zu belästigen. Ein Kuss sei aber laut bestehender höchstrichterlicher Rechtsprechung keine sexuelle Handlung. Einzig die Tatsache, dass er die 25 Jahre alte Frau dabei festhielt, machte aus Sicht der Richterin eine Verurteilung möglich. Sie wertete das Delikt als Nötigung und verurteilte den Angeklagten zu drei Monaten bedingter Haft, die nicht im Strafregisterauszug aufscheinen.

Eigener Abschnitt im Strafgesetzbuch

Der Fall zeigt, zu welchen Schwierigkeiten es kommen kann, wenn sexuelle Gewalt oder Belästigungen strafrechtlich aufgearbeitet werden. Vereinigt sind die entsprechenden Paragrafen im zehnten Abschnitt des Strafgesetzbuchs unter der Überschrift "Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung".

Am härtesten ist die Strafandrohung bei Vergewaltigung: Mindestens ein bis zu zehn Jahre Haft drohen, stirbt das Opfer, sogar lebenslang. Seit Jänner 2016 gibt es auch die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung: Bis zu zwei Jahre drohen, wenn man gegen den Willen des Opfers mit diesem Verkehr hat, aber keine direkte Gewalt anwendet.

Kommt es nicht zum Beischlaf, wie sich die Juristen ausdrücken, wird aber jemand mit Gewalt zu anderen "geschlechtlichen Handlungen" gezwungen, greift die Geschlechtliche Nötigung. Im Normalfall drohen hier sechs Monate bis fünf Jahre Gefängnis. Bis zu sechs Monate Haft oder eine einkommensabhängige Geldstrafe droht für Sexuelle Belästigung, unter die auch das vor der Einführung kontrovers diskutierte "Pograpschen" fällt.

Ermächtigungsdelikt sexuelle Belästigung

Letzteres ist übrigens kein Offizial-, sondern ein Ermächtigungsdelikt. Das bedeutet, dass das Opfer einer strafrechtlichen Verfolgung zustimmen muss, damit es zu einer Anklage kommen kann. Allerdings verbietet das einem Zeugen oder einer Zeugin nicht, den Vorfall bei der Polizei anzuzeigen.

Anders sieht es aus, wenn es zu keinem Körperkontakt, sondern verbalen Belästigungen kommt. Die Strafverteidiger Leonhard Kregcjk, Heike Sporn und Philipp Wolm sehen auf Anfrage des Standard keine Umstände, unter denen solche Äußerungen ein Fall für das Strafrecht werden könnten. Wobei es auf den genauen Wortlaut ankommt, wie Kregcjk einschränkt – bei einer sehr konkreten Beschreibung einer bevorstehenden Handlung könnte es sich um die Ankündigung eines Versuchs handeln und damit strafrechtlich relevant werden.

"Mir war das eklig"

Dass es Frauen aber oft überhaupt schwerfällt, sich juristisch zur Wehr zu setzen, zeigte sich im Fall der eingangs erwähnten 25-Jährigen. "Mir war das eklig, aber ich habe nicht gewusst, was ich machen soll. Ich habe es immer versteckt und geweint. Ich habe mich so geschämt, dass ich bis Ende Jänner nichts gesagt habe", erklärte sie, warum sie dutzende Angriffe über sich ergehen ließ. Erst als sie sich an ihren Vorgesetzten wandte, gestand der Angeklagte sein Fehlverhalten ein und wurde versetzt. (Michael Möseneder, 6.11.2017)