Zebrafinken eignen sich einen neuen Gesang an, indem sie die Lernaufgabe in leichter zu bewältigende Teilschritte zerlegen.

Foto: APA/dpa/ Felix Brandl/ Max-Planck-Institut für Ornithologie

Zürich – Wenn es um das Erlernen eines neuen Gesangs geht, sind Singvögel Minimalisten. Insofern gleicht deren Lernmethode auch einer Strategie, die Computerwissenschafter beim Sprachvergleich anwenden, wie nun Neuroinformatiker um Richard Hahnloser von der ETH Zürich im Fachjournal "Nature Communications" berichten.

Wie das Sprachenlernen für Kinder ist es auch für Singvögel eine Herausforderung, sich einen neuen Gesang anzueignen. Zebrafinken gehen dabei Schritt für Schritt vor und nehmen auch mal einen Umweg in Kauf: Sie verändern bereits bekannte Gesangssilben und passen sie den neu zu lernenden Silben an. Während dieser Lernphase gerät die Silbenabfolge oft durcheinander.

In Teilschritte zerlegen

In einer nächsten Phase setzen die Vögel die neuerlernten Silben dann in die richtige Reihenfolge. "Die Zebrafinken haben eine Strategie entwickelt, eine solch komplexe Aufgabe wie das Erlernen eines neuen Gesangs in leichter zu bewältigende Teilschritte aufzuteilen", sagt Hahnloser. "Dadurch können sie ihr Repertoire mit minimalem Aufwand erweitern."

Die Wissenschafter gewannen diese Erkenntnisse aus einem Experiment mit Jungvögeln, die bei Versuchsbeginn einen Monat alt waren. Die Wissenschafter spielten den Vögeln regelmäßig einen Gesang vor, den diese dabei erlernten. Nach einem Monat änderten die Forschenden den Gesang, und die Vögel versuchten, ihren Gesang an den neuen anzupassen. "In der Natur passen Vögel ihren Gesang instinktiv an denjenigen von erwachsenen Artgenossen an", erklärt Hahnloser. Die Forscher zeichneten rund um die Uhr jede Lautäußerung der Vögel auf und werteten sie Silbe für Silbe am Computer aus.

Computerlinguistik arbeitet ähnlich

"Die Strategie der Vögel ähnelt interessanterweise sehr der zurzeit besten Computerlinguistik-Methode zum Vergleich von Schriftstücken", sagt Hahnloser. Diese Algorithmen vergleichen Schriftdokumente, indem sie deren Wörter zwar in ihrem Kontext, aber ungeachtet ihrer genauen Reihenfolge betrachten. Durch den Vergleich von Milliarden von Texten können diese Algorithmen die Ähnlichkeit zweier Wörter bestimmen und mit einer Zahl bewerten. So finden sie zum Beispiel heraus, dass die beiden Wörter Haus und Gebäude die praktisch gleiche Bedeutung haben.

Auch können diese Computerprogramme aus Millionen von Dokumenten dasjenige finden, das einem bestimmten Text am ähnlichsten ist. Es ist jenes, dessen Vokabular sich mit dem geringsten Aufwand in das Vokabular des Vergleichstexts verändern lässt. "Diese heute von Computerwissenschaftern verwendete Strategie lernten Singvögel in ihrer Evolution, und sie wandten sie wohl schon vor Millionen von Jahren an", so Hahnloser.

Parallelen zum Menschen

Ob Kleinkinder beim Erlernen ihrer Muttersprache oder einer Fremdsprache ähnlich vorgehen wie die Singvögel, ist ungewiss. Zwischen dem menschlichen Spracherwerb und dem Gesangserwerb von Vögeln gebe es jedoch Gemeinsamkeiten, sagt Hahnloser. Auch ließen sich aus der Singvogelforschung schon spannende Hypothesen zur Sprachentwicklung von Kleinkindern ableiten. Frühere Studien zeigten etwa, dass Jungvögel und Kleinkinder jede einzelne Silbe ausgiebig durch Verdoppeln üben, und dies mit neu dazugelernten Silben auch dann noch machen, wenn sie bereits Gesangselemente und Wörter mit zwei unterschiedlichen Silben beherrschen. (red, 2.11.2017)