Repikanten als vollwertige Wesen?

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Geschäftsmann Niander Wallace: "Sie machen die Arbeit, die Menschen nicht machen wollen".

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Verstehen wir Blade Runner 2049 als ein Gedankenexperiment zu den möglichen Konsequenzen technologischen Fortschrittes. Was bringt es mit sich, wenn es uns gelingt, "künstliche Menschen" hervorzubringen, die durch genetische Modifikation leistungsfähiger als wir natürlich geborene Menschen sind und deren Eigenschaften – Lebensdauer oder Hörigkeit – absichtsvoll und gezielt gestaltet werden können. Sowohl der Film von 1982, als auch dessen Sequel der Gegenwart ermöglichen dergestalt, einer Frage nach dem Humanen, nach Würde und den Grenzen technologischer Instrumentalisierung nachzudenken.

Der Replikant als Mittel zum Zweck

Was ist ein "Replikant"? Ein Replikant ist ein künstlicher Mensch, biologisch designt, er ist Mittel zum Zweck, ein Arbeitssklave. Nicht nur ist er ein biologisches Upgrade unserer selbst, sondern fügt sich in seiner designten Übereffektivität ebenso in eine kapitalistische Logik ein: "Jede Zivilisation wurde auf dem Rücken entbehrlicher Arbeitskräfte erbaut", so der Geschäftsmann Niander Wallace, für den die Replikanten vor allem eines sind: Produkt, Arbeitskraft und Geschäft. "Sie machen die Arbeit, die Menschen nicht machen wollen." Und: "Der Wohlstand der Kolonien wäre ohne die Replikanten nicht möglich". Um erst gar nicht in unangenehme und schwierige ethische Fragestellungen hineinzuschlittern, wird ihre Lebenszeit durch genetische Programmierung vorweg auf wenige Lebensjahre begrenzt.

Gegenthese: Durchschimmern von Humanität

Der Film hingegen zeigt durch Technologie geschaffene Wesen, deren Verhalten Grenze und Trennung von künstlichen Designprodukten und Humanität fragwürdig erscheinen lässt: Officer K klammert sich an Erinnerungen, fragt nach seiner Identität, nimmt Anstrengen auf sich, um diese zu überprüfen. In einer trostlosen und annähernd toten Natur gedenkt Sapper Morton seinem verstorbenen Artgenossen mit einer seltenen, welken Blume. Officer K hält im herabfallenden Schnee inne, um von seinem Zauber eingefangen zu werden.

Die Replikanten staunen gemeinsam über "das Wunder" einer Geburt, die gegen ihre eigene Natur ist: Rachel, selbst eine Replikantin und Deckards Liebe aus dem ersten Film von 1982, gebar ein Kind – und das, obwohl das Zeugen und Gebären den Replikanten unmöglich sein sollte. Angesichts dieses Wunders überrascht es wenig, dass Replikanten von Rebellion erfüllt werden, ihr Recht auf Humanität einfordern und den Anspruch auf Autonomie und Selbstbestimmung erheben – nicht mehr Mittel zum Zweck, Arbeitskraft und Produkt sein, sondern würdevolle Wesen wie wir Menschen.

Das "Wunder" im Zentrum des Konflikts

All dies ist der Keim eines grundlegenden Konflikts, dessen Konturen sich abzeichnen: Jene, die als Mittel zum Zweck geschaffen wurden, begehren auf, um als Selbstzweck anerkannt zu werden. Dem steht eine kapitalistische Logik entgegen, die davon profitiert, die geschaffenen Wesen als effiziente Arbeitsressource einzusetzen und jede Form von Recht a priori auszuschließen. Der Konflikt entzündet sich am Wunder einer widernatürlichen Geburt, die in der Gemeinschaft der Replikanten zugleich die Idee gebiert, vollwertige Wesen wie wir Menschen zu sein.

Welche Antwort lässt sich auf dieses "Wunder" finden? Eine naheliegende wäre dessen Vernichtung und Verleugnung, wie es Lieutenant Joshi, die Vorgesetzte von Officer K vorschlägt, um jenes Widerfahrnis im Keim zu ersticken, das die Ordnung einer futuristischen Gesellschaft von Grund auf durcheinander bringen könnte – es wäre zum Schutz einer gesellschaftlichen Ordnung. Die geborenen Menschen müssten nicht nur auf nützliche Technologieprodukte verzichten, sondern sähen sich auch mit einem tiefen Gefühl der Minderwertigkeit konfrontiert, angesichts der gesteigerten Leistungsfähigkeit der Replikanten. Unterdrückung, Verhinderung und Aggression wäre eine mögliche Antwort darauf.

Was wäre, wenn?

Der Film stößt dazu an, eine alternative Antwort zu erkunden, die uns einen unkonventionellen Impuls in einer Gegenwart bieten kann, die sich immer häufiger mit Künstlicher Intelligenz (artificial intelligence, AI) auseinandersetzen muss. Was wäre, wenn es möglich ist, dass unsere technologische Schöpfung in einer nahen Zukunft über uns hinaus wächst und verselbstständigt, um schließlich Humanität, Würde und Selbstbestimmung einzufordern? Was wäre, wenn wir dem "Wunder" mit Staunen begegnen und entgegen einer kapitalistischen Logik dem Anspruch jener Wesen auf Humanität und Selbstbestimmung mit Anerkennung begegnen?

Eine solche Anerkennung wäre sicher eine Revolution. Es würde bedeuten, dem Ergebnis eines technologischen Fortschritts, der doch seit der Neuzeit immer uns Menschen dienen sollte, erstmals einen Selbstzweck zuzubilligen. Es würde bedeuten, zu verzichten, wir wären dazu angehalten, Macht, Raum und Leben zu teilen. Die Anerkennung würde an die Stelle einer Haltung der Überlegenheit (Supremacy) treten. Ob wir Menschen zu einer solchen Antwort fähig wären? (Florian Schmidsberger, 7.11.2017)