Kurdische Kämpfer im Norden des Iraks hielten bis vor wenigen Wochen weite Gebiete unter ihrer Kontrolle. Dann kam das Unabhängigkeitsreferendum – und die Offensive der irakischen Armee.

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Nachdem das kurdische Regionalparlament in Erbil am Sonntagnachmittag den Rücktritt von Präsident Massud Barzani angenommen hatte, gingen die emotionalen Wogen hoch: Seine Anhänger versuchten, das Parlamentsgebäude zu stürmen, vor allem die Abgeordneten der oppositionellen Gorran-Partei verschanzten sich aus Furcht in ihren Büros. Vor dem Haus rang die Polizei um Ruhe, dabei fielen auch Schüsse.

Am Abend wandte sich Barzani per TV-Ansprache an die Kurden: Die Rede wurde zur bitteren Abrechnung mit Bagdad, aber auch mit seinen internen Gegnern. Jene kurdischen Kräfte, die nach der Intervention der irakischen Streitkräfte vor zwei Wochen die Stadt Kirkuk kampflos übergeben hatten, nannte er "Verräter". Die Zentralregierung in Bagdad beschuldigte er, die Autonomierechte der Kurden rückgängig machen zu wollen: Sie habe das von ihm ausgerufene Unabhängigkeitsreferendum nur als Vorwand benützt, die Kurden anzugreifen. Barzani hob hervor, dass die Armee und die schiitischen Milizen dazu US-Waffen benützt hatten.

Das Parlament in Erbil hatte am Sonntag hinter verschlossenen Türen getagt. Es galt eilig zu diskutieren, wie die Vollmachten Barzanis aufgeteilt würden. Bei der Sitzung ging es so hitzig zu, dass die Beratungen unterbrochen werden mussten. Die oppositionelle Gorran-Bewegung, die das Parlament lange Zeit boykottiert hatte, verlangte, dass alle Befugnisse des Präsidenten uneingeschränkt vom Parlamentspräsidenten übernommen werden. Die Bewegung hatte im Vorfeld angekündigt, allenfalls mit einem Generalstreik durchzusetzen, dass auch die von Nechirvan Barzani geführte Regionalregierung abgesetzt wird. Sie solle durch eine Regierung der nationalen Rettung abgelöst werden.

Isolation nach Taktikfehler

Nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 25. September hatte die Zentralregierung in Bagdad eine ganze Reihe von militärischen und nichtmilitärischen Maßnahmen gegen die kurdische Autonomieregion verfügt und mit einer massiven Operation Territorium und Erdölfelder in der Region von Kirkuk zurückerobert. Diese war seit 2014 von den kurdischen Peschmerga kontrolliert worden. Mit dem Wegfall der Ölfelder, deren Einnahmen für den Unterhalt eines unabhängigen Staates unverzichtbar gewesen wären, sind die Spannungen zwischen den kurdischen Parteien und die gegenseitigen Schuldzuweisungen eskaliert, und die KDP von Präsident Barzani wurde im politischen Spektrum isoliert. Barzani will aber nach den Worten seines Beraters Hemin Hawrami Vorsitzender des obersten politischen Rates bleiben, der die Nachreferendumszeit gestalten soll.

Die militärischen Auseinandersetzungen kurdischer Kämpfer mit der irakischen Armee und den mit ihr verbündeten schiitischen Milizen ruhen derzeit, sind aber noch nicht vorbei. Am Wochenende gab es in Mossul mehrere Gesprächsrunden zwischen den Führungsoffizieren, um die Bedingungen für einen dauerhaften Waffenstillstand auszuhandeln. Dabei geht es um die sogenannte blaue Linie, die Grenze der kurdischen Gebiete im Jahr 2003 vor dem Fall der Saddam-Diktatur. In den Jahren danach hatten die Kurden ihre Kontrolle über Teile der "umstrittenen Gebiete" ausgedehnt, noch bevor sie sich 2014 nach der Flucht der irakischen Armee vor dem IS auch Kirkuks bemächtigt hatten. Strittig sind besonders die Grenzübergänge, allen voran Fishkabour im Dreiländereck zwischen dem Irak, Syrien und der Türkei. Die Regierung in Bagdad beharrt darauf, dass künftig alle Grenzpunkte ihrer Autorität unterstellt werden müssen.

Die Gespräche in Mossul, bei denen auch US-Vermittler anwesend sind, hatten bis Sonntagabend zu keinem endgültigen Arrangement geführt. Es sind technische und militärische Diskussionen und keine politischen. Iraks Premier Haidar al-Abadi beharrt weiter darauf, dass die Kurden zuerst ihr Referendum für ungültig erklären müssen – bis jetzt haben sie ein Einfrieren angeboten -, bevor politische Verhandlungen aufgenommen werden. (Astrid Frefel, 29.10.2017)