Die eher konservative Demokratisch Europäische Partei Kataloniens (PDeCat) von Carles Puigdemont (rechts) wollte eigentlich nicht erneut gemeinsam mit der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) von Vize Oriol Junqueras (links) im Bündnis Gemeinsam für das Ja (JxSí) antreten.

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"38 Prozent sind nicht Katalonien" lautet die Botschaft eines Plakats bei der Demonstration für die Einheit Spaniens in Barcelona. Angespielt wird damit auf die niedrige Wahlbeteiligung (43 Prozent) bei Referendum über die katalanische Unabhängigkeit an.

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Lauter waren in der Vergangenheit die Stimmen der Unabhängigkeitsbefürworter Kataloniens – am Sonntag zeigten die Unterstützer einer Einheit Spaniens in Barcelona aber deutlich Präsenz und schwenkten spanische und auch katalanische und europäische Fahnen. Laut den Behörden in Madrid folgten eine Million Menschen dem Aufruf der Organisation mit dem Namen "Katalanische Zivilgesellschaft" (SCC), die Stadtpolizei spricht von 300.000.

Einer der Hauptredner war der ehemalige Präsident des Europaparlaments, der spanisch-katalanische Sozialist Josep Borrell. Die Demonstranten riefen immer wieder: "Carles Puigdemont ins Gefängnis" und bezogen sich damit auf die Anklage wegen Rebellion gegen den abgesetzten Regionalpräsidenten.

Von politischer Seite in Katalonien wurden vorerst keine neuen Weichenstellungen unternommen. Denn der letzte Zug von Premier Mariano Rajoy am Samstag kam ohnehin unerwartet und saß.

Neuwahlen im Dezember

Er enthob nicht nur via Verfassungsartikel 155 – wie zu erwarten war – die katalanische Regierung unter Puigdemont ihres Amtes, er löste auch das Autonomieparlament auf und setzte für den 21. Dezember Neuwahlen an. Die Strategie der Unabhängigkeitsbewegung, Madrid in einen langen Konflikt mit der Zivilgesellschaft zu verstricken, ist damit hinfällig.

Mitglieder der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) oder von Òmnium, die das Rückgrat der Unabhängigkeitsbewegung stellen, können nicht sagen, was jetzt passieren wird. Demonstrationen, Blockaden, Generalstreik – auf all das waren sie eingestellt, nur es fehlt an Aufrufen. Die Vorstände berieten, und es drang nichts nach außen durch.

Gemeinsame Listen als Streitpunkte

Auch bei den Parteien herrscht Krise. Die Neuwahlen erwischen sie auf dem falschen Fuß. Puigdemonts eher konservative Demokratisch Europäische Partei Kataloniens (PDeCat) wollte eigentlich nicht erneut gemeinsam mit der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) von Vize Oriol Junqueras im Bündnis Gemeinsam für das Ja (JxSí) antreten. Doch das könnte jetzt unumgänglich werden, um die Mehrheit im Parlament zu verteidigen. Die Entscheidung muss bald fallen. Listen müssen bis 6. November eingeschrieben werden.

Die Wahlen stellen die Unabhängigkeitsbewegung vor ein grundlegendes Problem. Sie werden von Madrid organisiert. Eine Beteiligung käme der Anerkennung der spanischen Legalität und damit einer Absage an die soeben verkündete unabhängige Katalanische Republik gleich. Aber ein Wahlboykott birgt die Gefahr, in völliger Belanglosigkeit zu verkommen.

Die katalanische Presse berichtet von der Suche nach "einfallsreichen Lösungen". Eine "Bürgerliste gegen den 155" mit bekannten Persönlichkeiten sei im Gespräch. Doch eine separatistische Mehrheit ist nur möglich, wenn die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) mitmacht. Und die neigt zum Wahlboykott.

"Demokratische Opposition"

Eine solche Bürgerliste würde auch zur Ansprache Puigdemonts vom Samstag passen. Der abgesetzte "President de la Generalitat", wie er seinen offiziellen Titel noch immer sieht, reiste nach der Unabhängigkeitserklärung nach Girona, wo er einst Bürgermeister war. Dort genoss er auf dem Stadtfest ein Bad in der Menge, ließ sich beim Weintrinken und Essen filmen. Mit einer katalanischen und einer europäischen Fahne an der Seite rief er übers Fernsehen nicht etwa zum "Ungehorsam", sondern zur "demokratischen Opposition" auf. Alles, was Madrid auf der Grundlage des Artikels 155 tue, seien "Entscheidungen, die dem Willen, den die Bürger unseres Landes an den Urnen zum Ausdruck gebracht haben, widersprechen", erklärte Puigdemont.

Alles, was er fortan mache, sei nur noch gerichtlich verwertbar, lautete darauf die Antwort aus Madrid. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft wird am Montag die Klage wegen Rebellion gegen Puigdemont einreichen. Darauf stehen bis zu 30 Jahre Haft. Festnahmen und U-Haft sind nicht auszuschließen. Der belgische Staatssekretär für Einwanderung, Theo Francken, bot Asyl an. Offiziell übernimmt seine Amtsgeschäfte Spaniens Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría. (Reiner Wandler aus Barcelona, 29.10.2017)