Wien – Ein Verurteilter fasst in Österreich umgangssprachlich Schmalz aus. Eldin N. droht vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Mariella Noe ein ganzes Fass davon – der 23-Jährige soll ein Handy geraubt haben und hat bereits drei Vorstrafen, zuletzt saß er drei Jahre unbedingt. Sein Glück: Er hat sich am 8. Jänner den Arm gebrochen, was durch Krankenhausakten belegt ist.

"Mein Mandant ist kein Sonnenschein", gesteht der Verteidiger im Eröffnungsplädoyer ein. Aber: "Bei allen bisherigen Verurteilungen hat er immer zugegeben, was er gemacht hat. Wenn er jetzt sagt, er hat den Raub nicht begangen, glaube ich ihm das."

In einem Punkt bekennt sich der Angeklagte diesmal schuldig. Nicht zum Raub, für den ihm ein bis zehn Jahre Haft drohen. Sondern zu einer Sachbeschädigung, die ihm als versuchter Einbruchsdiebstahl vorgeworfen wird. Er hat im Juli 2016 die Seitenscheibe eines Autos eingeschlagen – um daraus eine Tasche zu stehlen, behauptet Staatsanwältin Gabriele Müller-Dachler. Aus Wut, sagt der Angeklagte.

Betrunken im Club

"Ich war betrunken im Club", erinnert er sich an seinen Besuch in einem Lokal in Wien-Landstraße. Dort traf er auf seine Ex-Freundin, ein Streit entstand. "Eine Freundin von ihr ist dann mit mir auf die Straße, um zu reden. Ich war aggressiv und habe dann mit der Faust die Scheibe eingeschlagen. Aber wäre da eine Wand gewesen, hätte ich gegen die Wand geschlagen."

Er habe überhaupt nicht darauf geachtet, ob in dem Fahrzeug Wertgegenstände seien. Nach der zerstörerischen Abreaktion habe seine Hand geblutet, die er daraufhin mit seinem T-Shirt verbunden habe. Diese Szene hat übrigens auch der Autobesitzer beobachtet.

Schwerer wiegt aber ohnehin der Vorwurf, N. habe am Abend des 2. Jänner mit einem Mittäter Sascha E. auf der Straße überfallen und ihm Handy und Bargeld geraubt. "Was haben Sie denn am 2. Jänner gemacht?", will Vorsitzende Noe daher von dem Arbeitslosen wissen. "Das war nach Silvester. Da habe ich meinen Rausch ausgeschlafen." – "Das war zwei Tage nach Silvester." – "Ich habe weitergetrunken."

Abend bei den Schwiegereltern

Dann wird der Angeklagte doch konkreter: Er habe den Nachmittag und Abend mit seiner Freundin bei den Schwiegereltern verbracht. Ob er je im Handyshop von Zihni C. gewesen sei und dort ein Mobiltelefon verkauft habe? "Ja, aber das war irgendwann nach dem 8. Jänner, da ich da einen Gips hatte." Und: Es sei das Telefon eines Freundes gewesen.

C. hat bei der Polizei anderes gesagt. Es steht fest, dass er ab 3. Jänner das geraubte Handy mit seiner SIM-Karte benutzt und im Februar weiterverkauft hat. Er machte mehrere Aussagen, berichtete, der Angeklagte und ein zweiter Mann hätten ihm das Telefon verkauft. Chauffiert seien sie in einem BMW worden, den er danach noch mehrmals gesehen habe. Irgendwann notierte er die Nummer und meldete sie der Polizei.

Vor seinem Zeugenauftritt hat er Noe informiert, dass er nur in Abwesenheit des Angeklagten aussagen möchte. Aus Sorge um seine Mutter, die im Geschäft putzt, lautet die nicht ganz nachvollziehbare Begründung.

Verbindungsdaten als Indiz

Sein Wunsch wird dennoch erfüllt, C.s Aussage gerät aber ein wenig eigen. Seine früheren Aussagen seien richtig, heute könne er sich praktisch nicht mehr erinnern, bescheidet er. "Wie kommt denn der 2. Jänner als Kaufdatum herein?", fragt ihn Noe. "Die Polizei hat mir die Verbindungsdaten vorgelegt, und ich habe gleich nach dem Kauf meine SIM-Karte eingelegt", lautet die Antwort.

"Ist der Angeklagte allein gekommen, oder war er in Begleitung?" – "Allein war er. Zu zweit", kommt als überraschende Replik. "Sie müssen schon vorher überlegen, was Sie sagen!", mahnt die Vorsitzende. "Zu zweit." – "Und wie sind sie gekommen?" – "Durch die Türe." Noe krampft sich zusammen. "Wie sie zu Ihrem Geschäft gekommen sind!" – "Mit einem BMW."

Wirklich pampig wird der 20-jährige Zeuge, als auch der Verteidiger wagt, seine Aussagen zu hinterfragen. In einer der Polizeivernehmungen hat der Zeuge nämlich angegeben, er erinnere sich, der Angeklagte habe einen Verband oder Gips getragen, was ihm aufgefallen sei, als er ihm die Hand schütteln wollte. "Hatte er das rechts oder links?", will der Verteidiger wissen. "Ich glaube, links." – "Bei der Polizei haben Sie gesagt, rechts." – "Ich kann mich nicht mehr erinnern."

Verschwundener Tresor

Auch die Unterlagen zu der Transaktion gibt es angeblich nicht mehr. Der Angeklagte behauptet, als er sein Handy nach dem 8. Jänner verkauft hat, sei auch sein Pass kopiert worden. Zeuge C. bedauert nun, dass er das nicht nachprüfen könne. "Mitte Jänner habe ich das Geschäft an einen Bulgaren verkauft. Mittlerweile habe ich es wieder, aber der Tresor mit den Unterlagen ist weg."

Das Opfer des Raubüberfalls ist sich zu 60 bis 80 Prozent sicher, dass der Angeklagte auch der Täter ist. Das sagt er allerdings auch erst, nachdem N. ins Nebenzimmer gebracht worden ist. Denn, wie er dem Senat offenbart: Ein Freund des Angeklagten – alle Beteiligten wohnen in derselben Gegend – habe ihm eine SMS geschickt mit der Frage, warum er N. falsch identifiziert habe. "Haben Sie daher Angst?", fragt die Staatsanwältin den Zeugen. "Ein ungutes Gefühl, aber keine Angst", hört sie.

Unzuverlässiger Zeuge

Dass N.s Freundin und ihre Eltern bestätigen, dass man am 2. Jänner einen Familienabend verbrachte, ist nicht sonderlich überraschend. Aber genug, um ihm einen Freispruch im Zweifel zu bescheren. Besonders der Handyshopbesitzer habe einen "sehr unzuverlässigen Eindruck" gemacht, begründet Noe, warum man nicht mit Sicherheit sagen könne, ob N. am 2. Jänner das geraubte oder nach dem 8. ein eigenes Handy verkauft habe.

Auch den Wutausbruch glaubt man ihm: Er wird nur wegen Sachbeschädigung zu vier Monaten unbedingt verurteilt. Da er seit 13. Juli in Untersuchungshaft sitzt, kann er im November gehen, rechtskräftig sind die Urteile nicht. (Michael Möseneder, 31.10.2017)