Nur durch eine Sicherheitsscheibe voneinander getrennt: Anwalt (Fukujama Masaharu) und Mörder (Yakusho Koji) kommen einander immer näher.

Foto: Viennale

Mit einem Geständnis müsste der Mordfall eigentlich geklärt sein, bei dem Misumi (Yakusho Koji) seinen Boss getötet und dann verbrannt hat. Um das Maß der Belastung vollzumachen, hat Misumi auch noch die Brieftasche des Opfers an sich genommen. Sie stinkt nach Benzin.

Aber auch ein erwiesener Mörder muss einen Prozess bekommen, und dann geht es noch um das Ausmaß der Strafe. Er muss vor Gericht verteidigt werden, und für das Strafmaß müssen die näheren Umstände der Tat berücksichtigt werden. Damit wird selbst ein scheinbar einfacher Fall wie dieser kompliziert.

Es sind Komplikationen, auf die sich der japanische Filmemacher Koreeda Hirokazu versteht wie kaum jemand anderer. Er zählt zu den genauesten Beobachtern überhaupt, in seinen Filmen ist das kaum Merkliche fast immer das Wichtigste. Dass er häufig mit Kindern arbeitet, wirkt da fast wie ein Ablenkungsmanöver. Koreeda gibt sich impressionistisch, ist aber ein höchst analytischer, intellektueller Regisseur.

In The Third Murder (Sandome no Satsujin) interessiert er sich auf eine sehr grundsätzliche Weise für Wahrheitsfragen. Der Mord ist nicht nur geschehen – das Publikum bekommt ihn sogar zu sehen. Doch dann geht es vor allem darum, die näheren Umstände zu verstehen. Und dabei erweist sich Misumi, über das Geständnis hinaus, als ein unzuverlässiger Zeuge. Er leugnet die Tat nicht, aber er erzählt sie immer wieder anders, sodass sein Anwalt allmählich immer stärker verunsichert wird. Dieser Shigemori (Fukuyama Masaharu), ein Mann mittleren Alters mit einer Tochter aus einer gescheiterten Ehe, ist die zentrale Figur des Films. Sein Ziel oder seine Aufgabe ist anscheinend einfach: Er soll Misumi vor der Todesstrafe bewahren. Dies wird umso schwieriger, als Misumi nicht zum ersten Mal jemanden getötet hat. Wegen eines früheren Verbrechens saß er schon viele Jahre im Gefängnis.

Reise in die Vergangenheit

Die Gespräche zwischen dem Anwalt und dem Mandanten sind die zentralen Momente in The Third Murder. Zwei Männer, durch eine Sicherheitsscheibe getrennt, in gewisser Weise aber auch gespiegelt – ein Effekt, mit dem Koreeda in allen erdenklichen Varianten spielt. So wie sich hier die Kommunikation bricht, so bricht der Film auch unser Verständnis von Wahrheit auf. Die Vorstellung einer objektiven Wahrheit zerfällt, an ihre Stelle setzt Koreeda ein vielschichtiges Wahrheitsgeschehen, das durch eine Reise nach Hokkaido in den Norden Japans (eine Reise in der Landschaft, aber auch in die Vergangenheit) eine weitere Dimension bekommt und das nicht zuletzt durch das spezifische Wahrheitsverständnis der Justiz weiter differenziert wird.

In dem Maß, in dem Shigemori in die Vergangenheit seines Mandanten und in das geheime Leben des Mordopfers und dessen Familie vordringt, verändern sich die Akzente, unter denen man das bisher Gesehene zu verstehen meint. Dabei geht es aber niemals um eine postmoderne Dekonstruktion, sondern um eine neue Grundlegung von Wahrhaftigkeit. Sie erwächst aus der Integrität, mit der sich Shigemori, mit seinen Anzügen ein typischer, anonymer Vertreter einer modernen Gesellschaft, seiner Aufgabe stellt.

2013 hat Koreeda in Like Father, Like Son eine Geschichte von biologischer und sozialer Identität erzählt. Daran schließt er nun mit The Third Murder an, denn auch hier verbindet sich ein soziologisches Interesse mit einer fundamentalen Reflexion auf Wirklichkeitsbezüge. Längst müsste der Regisseur zu den ganz Großen des japanischen Kinos gezählt werden, wäre da nicht dieses prinzipielle Understatement in seinen Filmen, das alles auf die Konzentration des Publikums setzt. (Bert Rebhandl, 29.10.2017)