STANDARD: Gerade haben Sie hier in Straßburg Ihren letzten Parlamentstag als Vizepräsidentin absolviert. Vor fünf Monaten waren Sie nach dem überraschenden Rücktritt von Grünen-Chefin Eva Glawischnig von hier aus sofort nach Wien geflogen, um Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl zu werden. Wie sehen Sie das heute, wie geht es Ihnen?

Lunacek: (langer Seufzer) Es ist Wehmut – weil es ist ein Abschiednehmen, das so nicht geplant war. Ich habe mich damals entschieden, aus dem Europaparlament Abschied zu nehmen. Das war auch richtig. Dass es dann so ausgeht, hat niemand von uns wissen können, das war so auch nicht gedacht. Jetzt ist es ein Abschied der Grünen aus dem Nationalrat. Da fließen auch die Tränen.

Büro mit Weitblick: Als Vizepräsidentin des EU-Parlaments hatte Lunacek in Straßburg tolle Aussicht auf Deutschland und Frankreich.

STANDARD: Warum sind Sie jetzt nicht im EU-Parlament geblieben? Das wäre rechtlich möglich gewesen.

Lunacek: Es war eine schwierige Entscheidung. Ich hätte den Beschluss von früher, nicht mehr ins Europaparlament zurückzukommen, rückgängig machen können. Aber für mich war klar, dass ich Verantwortung übernehmen muss für diese Niederlage, genauso wie Ingrid Felipe. Das bedeutet aber auch, ich kann jetzt in den nächsten Monaten etwas tun, was mir seit Jahren abgegangen ist, zum Beispiel einmal einen ganzen Tag lang ein Buch lesen und sonst nichts tun.

STANDARD: Die Grünen könnten Sie aber gerade jetzt als erfahrene Abgeordnete brauchen beim Wiederaufbau. Sie konnten ja wenig dafür, dass Glawischnig die Partei so übergeben hat.

Lunacek: Ich habe auch zwei Nächte lang überlegt. Bis vergangenen Montag wäre es auch möglich gewesen, als Präsident Tajani im Plenum meinen Rückzug offiziell verkündete. Aber es war so, dass ich im Wahlkampf immer wieder gefragt worden bin, ob ich auch wirklich in den Nationalrat gehen will und werde, und das habe ich immer betont. Ich sage nicht etwas, und halte dann mein Wort nicht. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit: Wenn man etwas verspricht, hält man sich daran. Der zweite Grund war, dass Felipe und ich die Führung übernommen haben, das wollte ich auch so. Es hat auch sehr gut funktioniert.

Nach der Wahl war dann die Situation, dass es geheißen hat, der ganze Bundesvorstand solle zurücktreten. Das geht aber nicht, es muss die Partei abgewickelt werden, deshalb sind der Bundesgeschäftsführer, der Finanzreferent und die anderen Vorstandsmitglieder geblieben. Für mich war daher klar, dass ich die Verantwortung übernehmen muss und gemeinsam mit Felipe zurücktrete. Wir waren die Spitze, wir sind verantwortlich für die Situation, auch wenn viele Fehler nicht mir oder uns zugeschrieben werden können. Ich habe noch einen guten Wahlkampf gemacht, viel Zuspruch bekommen. Aber jemand muss Verantwortung übernehmen. Ich mache keine halben Sachen.

STANDARD: Politiker fallen oft in dieses berüchtigte Loch, wenn der Stress der Tätigkeit wegfällt. Geht es Ihnen auch so?

Lunacek: Bis jetzt nicht, die ersten Tage waren geprägt von der Frage, wie die Grünen weitermachen. Es gab viele Sitzungen, man muss Dinge klären, auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es war aber schon vorher klar, dass mein Büro in Brüssel beziehungsweise Straßburg zugesperrt wird. Diese Heftigkeit der Arbeit während des Wahlkampfs mit bis zu acht Interviews pro Tag und einer Veranstaltung, einer TV-Konfrontation nach der anderen und unterwegs in ganz Österreich, das geht mir nicht ab. Aber ja, es ist eine Mischung aus Trauer und auch Zorn, die mich umtreibt. Es haben ja nur 10.000 Stimmen gefehlt. Vielen war nicht klar, dass es darum geht, ob die Grünen überhaupt noch im Parlament sein werden. Es droht Schwarz-Blau, das sind für die Politik, für die ich und die Grünen kämpfen, keine guten Aussichten.

STANDARD: Es klingt wie bei einem Todesfall.

Lunacek: Es ist schon so etwas wie ein Todesfall. Es ist ja etwas gestorben, bei mir vor allem die Zuversicht, mit der ich im Mai vor fünf Monaten angetreten bin. Damals waren die Umfragewerte schon schlecht, aber ich hatte die Zuversicht, dass es mir mit der EP-Wahlkampferfahrung von 2014 gelingen wird, da wieder Schwung reinzukriegen. Das ist nicht gelungen, das ist dramatisch.

STANDARD: Aber Sie haben sich nicht vorstellen können, dass die Grünen aus der Parlament fliegen können?

Lunacek: Damals nicht.

Was sie in Zukunft machen wird, weiß Ulrike Lunacek noch nicht.
cremer

STANDARD: Haben Sie eine Vorstellung, was Sie jetzt machen werden?

Lunacek: Nein. Zeit haben, zusammenräumen, dann werde ich überlegen, was ich weiter tun will. Ich will Bücher lesen und Leute treffen, was ich bei meinem bisherigen Pendlerinnen-Dasein – drei Tage Wien, vier Tage Brüssel, drei Tage sonstwo – kaum tun konnte. Aber ich weiß es einfach nicht, was ich beruflich machen werde. Ich war 22 Jahre lang bei den Grünen in Funktionen tätig, auf österreichischer wie europäischer Ebene, habe immer noch eine hohe Reputation. Ich bin überzeugt: Irgendeine neue Tür wird sich öffnen. Jetzt mache ich Pause.

STANDARD: Was ist ihre Erklärung, wie konnte den Grünen das passieren?

Lunacek: Dazu könnte man ein eigenes langes Gespräch führen. Es gab einen Punkt, an dem ich in der letzten Woche vor der Wahl möglicherweise noch etwas hätte drehen können, indem ich stärker den Alarmknopf gedrückt hätte mit der Botschaft, dass wir aus dem Parlament rausfliegen könnten. Wir haben intern auch darüber diskutiert, uns aber entschieden, es nicht zu tun und das nicht zu dramatisieren. Es gab die Befürchtung, dass es den gegenteiligen Effekt haben könnte, dass viele Wählerinnen und Wähler dann sagen, es hat keinen Sinn mehr, die Grünen zu wählen.

STANDARD: Nach dem Motto, ist eine verlorene Stimme, die sind eh schon draußen.

Lunacek: Im Nachhinein ist man oft gescheiter. Wenn ich gewusst hätte, dass es so dramatisch wird, hätte ich es wohl getan.

STANDARD: Es gibt wahrscheinlich viele Elemente, die zu solch einer Niederlage führen. Gibt es eine Sache, die Sie heute ganz anders machen würden? Zum Beispiel Peter Pilz zurückzuholen und doch noch auf einen Spitzenplatz zu setzen, bevor er eine eigene Partei ins Leben ruft?

Lunacek: Ich habe versucht, Peter Pilz zu halten. Es hätte nur keinen Sinn gemacht, wenn ich das an die große Glocke gehängt hätte. Ich habe mit ihm geredet, andere auch. Ich habe auch intern verkündet, dass ich ihn will. Es wäre gescheiter gewesen, wenn er bleibt. Aber es ist nicht gelungen, er wollte nicht mehr. Er hatte sich inhaltlich von uns Grünen entfernt. Wir wissen jetzt, dass er schon vor zwei Jahren überlegt hat, eine eigene Liste zu machen, auch schon vor dem Bundeskongress im Juni zumindest eine Person gefragt hat, ob sie auf einer eigenen Liste mit ihm kandidiert.

STANDARD: Wie konnten die Grünen derart aus der Spur kommen?

Lunacek: Die Geschichte mit den Jungen Grünen hat alles andere als geholfen. Das hätte man anders lösen müssen. Ich bin im Wahlkampf immer wieder danach gefragt worden. Aber es ist mittlerweile müßig, darüber zu diskutieren. Es ist, wie es ist. Wir hatten übrigens auch Erfolge vor dem Sommer: Ökostromnovelle, Bildungsreform, Uni-Milliarde!

STANDARD: Was kann man daraus lernen, wie kommen die Grünen wieder auf die Beine?

Lunacek: Jetzt geht es erstmals darum, gemeinsam mit den Grünen in den Bundesländern ein finanzielles Sanierungskonzept auf den Tisch zu legen. Ich will da auch keine guten Tipps geben. Mir liegt etwas daran, dass die Grünen wieder aufstehen, das ist wichtig für Österreich. Da werde ich schon auch beitragen, was ich kann. Wir müssen schauen, wie wir in fünf Jahren spätestens wieder den Einzug in den Nationalrat schaffen. Das ist möglich. Ich bin ein optimistischer Mensch.

Es gibt im nächsten halben Jahr auch vier Landtagswahlen, wo die Wählerinnen und Wähler ein Zeichen für gestärkte grüne Politik setzen können – und außerdem dafür sorgen, dass es im nächsten Bundesrat eine Sperrminorität gegen schwarz-blaue Verfassungsänderungen gibt! Ich bekomme jetzt gerade viele Zuschriften, in denen Leute sagen, wie leid es ihnen tut, dass die Grünen nicht im Nationalrat sind, weil es eine starke Opposition braucht, gerade wenn es eine schwarz-blaue Regierung geben wird.

STANDARD: Ist das fix aus Ihrer Sicht?

Lunacek: Es könnte auch noch zu Rot-Blau kommen.

STANDARD: Würden Sie der SPÖ raten, der ÖVP die Duldung einer Minderheitsregierung anzubieten, das schwedische Modell, um die FPÖ in der Regierung zu verhindern, die in Europa das Image einer extrem rechten Partei hat?

Lunacek: ÖVP und SPÖ bräuchten das nicht, die haben gemeinsam eine Mehrheit. Dass die SPÖ eine ÖVP-Alleinregierung duldet, das sehe ich nicht. Die SPÖ ist in dieser Koalitionsfrage dreigeteilt.

STANDARD: Kommen wir zu Europa. Haben Sie Sorge, dass die österreichischen Grünen das Thema EU aus den Augen verlieren könnten, weil sie jetzt ganz andere Sorgen haben?

Lunacek: Nein, wir haben drei Europaabgeordnete, die werden ein starkes grünes Trio sein. Mein Nachfolger Thomas Waitz kommt aus der Umweltbewegung, aus dem Bereich Landwirtschaft, Ernährungssicherheit, Anti-Gentechnik. Er ist im Vorstand der Europäischen Grünen Partei. Neben den vier Grünen Bundesrätinnen werden die drei Grünen EU-Abgeordneten eine wichtige Rolle spielen. Europa beginnt in Österreich. Die EU-Abgeordneten haben Rederecht im Nationalrat bei aktuellen Stunden zu Europa und im EU-Hauptausschuss.

Im EU-Parlament werde viel stärker fraktionsübergreifend gearbeitet, lobt Ulrike Lunacek.
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STANDARD: Was ist Ihr persönliches Resümee nach acht Jahren als EU-Abgeordnete und drei Jahren als Vizepräsidentin? Was wird Ihnen fehlen?

Lunacek: Was ich hier im EU-Parlament am meisten geschätzt habe und was ich in den Nationalrat mitnehmen wollte, war die Erfahrung hier, dass man über Fraktionsgrenzen hinweg verhandeln kann, an Lösungen arbeiten, die dann auch halten, Kompromisse zu schließen trotz aller unterschiedlichen Positionen.

STANDARD: Das Sachorientierte zählt mehr als die Parteipolitik?

Lunacek: Die eigenen Vorstellungen, die Weltanschauung zählt schon. Aber man kann über die sachliche Zusammenarbeit viel bewirken. Wir Grünen haben europaweit sechs Prozent Stimmenanteil, und dafür haben wir im Europaparlament mit 51 von 751 EU-Abgeordneten viel erreicht. Wir sind politisch stärker, als es die reine Zahl an Abgeordneten ausdrückt. Das wird mir sehr abgehen. Das sollte im Nationalrat auch so sein, dass die Abgeordneten nicht nur ein bisschen was von dem abändern, was als Regierungsvorlage reinkommt, sondern selber politisch stark gestalten, indem sie die Kooperation in den Vordergrund stellen, nicht nur die Konfrontation.

STANDARD: Hat sich durch den Wahlkampf Ihr Blick auf die europäische Ebene geändert?

Lunacek: Auffällig ist, dass viel Positives auf der nationalen Ebene nicht ankommt. Da steht immer nur im Vordergrund, was den Leuten nicht gefällt, was negativ ist. Daran müssten wir alle gemeinsam arbeiten, das müsste mehr vermittelt werden, auch von den Medien, dieser Einsatz für ein starkes soziales und auch ökologisches Europa. Am demokratischen Europa wird gesägt, vor allem von den Rechtspopulisten. Sie kämpfen nicht um den Mehrwert der europäischen Politik, sondern gegen Europa.

STANDARD: Wie dramatisch schätzen Sie die Gesamtlage in der Europäischen Union ein, worauf kommt es an in den nächsten Monaten und Jahren?

Lunacek: Die vergangenen Jahre der Krise waren sicher die heftigsten und die entscheidendsten für die Zukunft der Union. Mit dem EU-Vertrag von Lissabon wurde das Europaparlament massiv gestärkt, gleichzeitig ist es erstmals möglich, dass ein Mitgliedsland überhaupt austreten darf, und es geht mit dem Brexit auch in diese Richtung, leider. Das bedeutet, es geht jetzt darum, wie die EU wieder gestärkt werden kann.

STANDARD: Wie soll das geschehen?

Lunacek: Man muss sowohl politisch wie strukturell die Dinge so aufsetzen, dass nicht Stück für Stück einige Länder einfach rausbrechen. Das kann durchaus der Fall sein. Was Österreich betrifft, ist die FPÖ von dieser Idee sicher noch nicht abgerückt. Sie hat im Wahlkampf den Ausstieg aus der europäischen Menschenrechtskonvention gefordert, was bedeuten würde, dass Österreich auch aus der EU austreten müsste. Es ist daher gut, wenn es mit dem französischen Präsidenten Macron jemanden gibt, dem die EU ein Anliegen ist.

STANDARD: Soll Österreich sich an Frankreichs EU-Kurs orientieren?

Lunacek: Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung die Zukunft der EU genauso wichtig nimmt, wie ich und andere das tun. Ich befürchte aber, dass das wegen der FPÖ nicht so sein wird. Es wäre eine Aufgabe der österreichischen EU-Präsidentschaft 2018, das, was bei der sozialen Säule begonnen wurde, auch weiterzuführen. Die Juncker-Kommission ist da immer noch zu schwach. Gleiches gilt für ein gemeinsames Asylsystem und die Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten.

Die österreichische Regierung müsse sich stärker einbringen, damit nicht nur Deutschland und Frankreich dominieren, meint Lunacek.
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STANDARD: Werden Ihrer Einschätzung nach nun Frankreich und Deutschland jetzt wieder die Führung übernehmen, so wie das in der Vergangenheit oft der Fall war?

Lunacek: Das befürchten viele. Genau deshalb braucht es eine österreichische Regierung, die sich da sehr stark einbringt, die sich Verbündete sucht. Man soll nicht immer nur schimpfen, dass diese beiden großen Staaten etwas vorgeben. Alle Staaten treffen sich regelmäßig beim Rat, alle einzelnen Länder, die kleinen und mittleren Staaten müssen sich stärker einbringen.

STANDARD: Besteht die Gefahr, dass es mit der Union noch weiter bergab geht, weil EU-Skeptiker an die Macht kommen, Stichwort Wahlen in Italien im nächsten Jahr?

Lunacek: Deshalb wäre es so wichtig, dass diejenigen sich zusammentun, für die Zusammenarbeit und Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimakrise, Schere zwischen Arm und Reich, Geschlechtergerechtigkeit, den Konzernen einen politischen Rahmen vorgeben – von großem Wert sind, den es zu pflegen gilt. Europa muss im globalen Kontext eine wichtige Rolle spielen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial. Und vor allem auch in Menschenrechtsfragen, da sind wir immer noch Vorbild für die Welt.

STANDARD: Worauf sind Sie persönlich stolz? Was war Ihnen wichtig?

Lunacek: Das eine war, mit einer kleinen grünen Fraktion viel mehr mitzuentscheiden, als uns zahlenmäßig eigentlich zugeschrieben wurde. Das reicht von der Begrenzung der Bankerboni über die Schaffung der Bankenunion bis hin zu mehr Transparenz und Lobbykontrolle, wie etwa der legislative Fußabdruck oder die Whistleblower-Initiativen.

Mir selber war es wichtig, die positiven Teile der EU stärker in Österreich zu verankern, hervorzustreichen, was für eine wichtige Rolle die Union spielt – bei aller Kritik daran. Und drittens war meine Arbeit auf dem Balkan ganz zentral, insbesondere was die beiden Staaten Kosovo und Serbien betrifft. Und als für Umweltfragen zuständige Vizepräsidentin vor allem die großen Erfolge bei der Reduzierung der CO2-Emissionen, des Papier-, Strom- und Wasserverbrauches sowie der Lebensmittelabfälle im Europaparlament. Da geht das EU-Parlament mit sehr gutem Beispiel voran. Und es ist mir gelungen, Schlupflöcher bei der Finanzierung europäischer Parteien zu schließen, die von Anti-EU-Parteien missbraucht wurden.

STANDARD: Hat die Arbeit als EU-Abgeordnete Sie verändert? Sind Sie in gewisser Weise eine andere Art von Europäerin geworden, als Sie es vorher waren?

Lunacek: Mir ist die Notwendigkeit eines gemeinsamen Europas in Krisenzeiten, auch weltweit, noch viel mehr bewusst geworden. Europa muss viel mehr aufstehen in der Welt, in Menschenrechtsfragen, aber auch intern, wenn es wie in Ungarn und Polen zum sukzessiven Abbau des Rechtsstaates kommt. Und es ist mir viel stärker aufgefallen, dass die Regierungen auf EU-Ebene als Kogesetzgeber auftreten, während sie in den Nationalstaaten die Exekutive bilden. Das muss geändert werden. Das, was im EU-Parlament an Positivem geschieht, wird am Ende sehr oft im Rat noch verwässert oder gar verhindert.

STANDARD: Warum ist es für uns EU-Bürger oft so schwer, uns als Europäer zu fühlen? Was haben Sie dazu beobachtet?

Lunacek: Für die Generation der Jungen ist das schon viel leichter als für Leute meiner Generation. Die Kriegsgeneration davor, die wusste unmittelbar, was sie an Europa hat. Aber die Jungen heute, die sehen zwar die Notwendigkeit und den Nutzen des gemeinsamen Europa, zum Beispiel die Möglichkeit, dass man überall studieren oder arbeiten kann. Was aber zum besseren Aufbau eines gemeinsamen europäischen Bewusstseins immer noch fehlt, ist zu beschließen und zu finanzieren, dass alle 15- bis 20-Jährigen einmal für eine Woche nach Brüssel fahren können, so wie das in Österreich mit der Wien-Woche zum Zwecke der politischen, aber auch kulturellen Bildung der Fall ist. Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen, auch EU-Skeptiker, wenn sie die Institutionen einmal von innen kennenlernen, dann sagen: "Da ist was dran, das ist was Gutes!" (Thomas Mayer, 28.10.2017)