Zurzeit herrschen in Berlin zwei unterschiedliche politische Geschwindigkeiten. Während man von Koalitionsverhandlungen noch weit entfernt ist, weil sich CDU, CSU, FDP und Grüne immer noch beim Sondieren beschnuppern, ist der Bundestag arbeitsbereit. Am Dienstag hat er sich konstituiert, 709 Abgeordnete (so viele wie noch nie) bilden sechs Fraktionen.

Natürlich bekamen die Novizen von der AfD die meiste Aufmerksamkeit. Wie soll man mit ihnen umgehen? Das ist die Frage, die Berlin seit der Bundestagswahl beschäftigt. Die Feuerprobe, das kann man ganz klar sagen, haben die etablierten Parteien schon einmal nicht bestanden.

Vor dem Einzug der AfD in den Bundestag wurde kurzerhand das Reglement nach jahrzehntelanger Praxis geändert. Nicht mehr der an Lebensjahren älteste Abgeordnete sollte die erste Sitzung eröffnen, sondern der dienstälteste. Man wollte dem 77-jährigen AfD-Mann Wilhelm von Gottberg keine Bühne bieten. Was für ein Eigentor! Diese Geschäftsordnung erlaubt der AfD natürlich, sich als Opfer darzustellen – was sie auch ausgiebig tat, indem ihr parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann an Göring erinnerte, der 1933 im Zuge der NSDAP-Machtergreifung das Amt des Alterspräsidenten abgeschafft hatte, um selbst die Eröffnungsrede nach der Wahl zu halten.

Die AfD auf einer Stufe mit NS-Opfern – aus Sicht der AfD war das ein "gelungener" und provokanter Einstieg ins Bundestagsdasein. Die Abgeordneten der anderen Parteien sollten eine Lehre daraus ziehen: Man ändert nicht die Spielregeln wegen der AfD. So hart es manchmal sein mag – jedes Mandat im Bundestag ist gleich viel wert. Und auch jene der AfD wurden von Wählern verliehen.

Es empfiehlt sich, ruhig zu bleiben. Die AfD sollte nicht mit Tricks bekämpft werden, sondern mit Argumenten. Dass die anderen Fraktionen den AfD-Kandidaten Albrecht Glaser bei der Wahl zum Vizepräsidenten durchfallen ließen, ist hingegen nachvollziehbar. Der Mann will Muslimen das Grundrecht auf Religionsfreiheit absprechen. Dagegen kann man inhaltlich vorgehen, was die Bundestagsabgeordneten der anderen Fraktionen auch getan haben. Und schließlich wählte die AfD ja auch den neuen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) nicht.

All die Vorkommnisse bei der konstituierenden Sitzung machen jedenfalls eines klar: Mit der AfD im Bundestag werden die Auseinandersetzungen deutlich härter werden. (Birgit Baumann, 24.10.2017)