Das Bild der Trümmerfrauen – hier bei der Arbeit in einem zerstörten Haus an der Berliner Straße in Berlin – wurde erst in den 1960er-Jahren in Österreich populär.

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Wien – Die "Heldinnen des Wiederaufbaus" in der Nachkriegszeit fehlen komplett in den damals veröffentlichten Pressefotos in Österreich. Das bekannte Klischee der "Trümmerfrauen" wurde vielmehr erst später in der DDR konstruiert, so Margarethe Szeless vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften der Uni Wien, deren Forschungsergebnisse nun online zugänglich sind.

Obwohl ein Großteil des Schutts auf Wiener Straßen professionell von Maschinen beseitigt wurde, sei das Klischee der selbstlos und motiviert anpackenden "Trümmerfrau" ein fixer Bestandteil des Bildrepertoires der österreichischen Nachkriegszeit, sagte Szeless. Sie hätten für einen Neuanfang gestanden und identitätsstiftend gewirkt, so die Expertin, die gemeinsam mit Marion Krammer, Carmen Hartl und Fritz Hausjell in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt "War of Pictures. Press Photography in Austria 1945-1955" Organisationsformen visueller Propaganda nach 1945 untersucht und die Entstehung und Verwendung von Foto-Ikonen nachverfolgt hat.

Weibliche Arbeitsleistung war wichtig

Aufgrund der kriegsbedingten Abwesenheit der Männer seien Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich gezwungen gewesen, die Anforderungen des täglichen Lebens weitgehend alleine zu bewältigen. "Die weibliche Arbeitsleistung trug entscheidend zum raschen Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft bei", so Hartl.

Viele historische Darstellungen von Schutt beseitigenden Frauen haben seither die "Trümmerfrauen" als "Idealbild" der Frau in der Nachkriegszeit geprägt. In den zeitgenössischen Illustrierten war dieses Bild jedoch überhaupt nicht präsent, hat die Auswertung von rund 60.000 Pressebildern ergeben. "Es gibt kein einziges Cover einer österreichischen Illustrierten, das die sogenannten 'Trümmerfrauen' zeigt", berichtete Krammer.

Stigmatisierte Arbeit

Mitunter hänge dies damit zusammen, dass es sich bei den Aufräumarbeiten um eine höchst stigmatisierte Aufgabe gehandelt habe. "Denn die 'Trümmerfrauen' in Österreich verrichteten häufig nicht freiwillig Schwerstarbeit, sondern wurden als verurteilte ehemalige Nationalsozialistinnen zu Strafarbeit gezwungen", so Szeless. Deshalb sei dieses Thema wohl auch aus der illustrierten Presse der unmittelbaren Nachkriegszeit ausgeblendet geblieben.

Paradoxerweise habe in Österreich erst in den 1960er-Jahren die verklärende Darstellung der "Trümmerfrauen" eingesetzt. "In Berlin und der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland wurden Frauen, die 'anpacken', in einer Medienkampagne hochstilisiert. Der verklärte Diskurs schwappte nach Österreich herüber, wo sie als identitätsstiftendes Element in den 60er- und 70er-Jahren auftauchen, zum Beispiel in Schulbüchern", erklärte die Expertin. "Solche Fälle zeigen uns, wie Bildern unhinterfragt übernommen werden – damals wie heute."

Klischees in Schulbüchern

Falsche Klischeevorstellungen werden selbst heute noch in Schulbüchern verbreitet, sagte Szeless. Ab Herbst führt das Forscherteam deshalb in Kooperation mit dem Fachdidaktikzentrum Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung konzipierte Workshops zum Thema Zeitgeschichte und Medienkompetenz an österreichischen Schulen durch.

An eine breite Öffentlichkeit richtet sich die Online-Ausstellung "War of Pictures. Bildkultur in Österreich 1945-1955", in der seit 25. Oktober die Forschungsergebnisse im Internet zur Verfügung gestellt werden. Mit der Dekonstruktion von Bildikonen wie dem "Heimkehrer", den "Halbstarken" und der "Inszenierung des Österreichischen Staatsvertrags" wolle man zur Aufklärung über die Herstellung visueller Diskurse beitragen. (APA, red, 4.11.2017)