Inzwischen ist die Veranda gewachsen, wie das Haus auch...

Foto: Bogumil Balkansky

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Sie lacht herzlich über den einen Wikinger-Witz, den ich kenne, die Reste unseres Frühstücks stören sie nicht, den leichten Odem von Knoblauch, Petersilie und Olivenöl findet sie appetitanregend.

Foto: AP / Matthew Mead

Es ist nur eine banale Veranda. Aber es ist meine Veranda. Hier lebe ich mit meiner Familie, wenn der Sommer am dicksten ist. Hierher kommen unsere Freunde aus Sutivan, trinken, essen und lachen mit uns. Das Leben ist schön.

Die Schatten der Alten

Als meine heutige Veranda noch lediglich eine Plattform aus Beton ist, wird die Sonne von gewelltem Plastik ferngehalten, wenn sie zu tief im Westen steht, dass die große Pinie diesen Job macht. Außerdem sieht man die Adria von Omiš bis Split, wenn man am Nachmittag Kaffee trinkt. Heute ist die Adria von einem hässlichen Apartmenthaus verdeckt. Doch damals sitzen Oma und Opa mit ihren Freunden hier und tratschen, worüber es grad was zu tratschen gibt. Wir Kinder täuschen oft vor zu spielen, aber in Wahrheit versuchen wir jedes Wort der Alten zu hören.

So sitzen die Alten an jedem meiner langen Sommertage der Kindheit auf der Veranda, immer in derselben Pose, wie in einem Gemälde. Immer lästert die Oma über dieselben Nachbarn, immer bringt Petar Kirigin einen Schnaps mit, gemacht aus den Nüssen in seinem Garten.

Immer trinken alle, nur der Opa nicht. Er hat es böse mit den Nieren. Die Oma hat es mit dem Herzen und fast allen anderen Organen, wenn man sie fragt, also kann ein guter Tropfen auch nicht mehr schaden. Immer ist der Opa schweigsam, als ob er den Kaffeetratsch nur duldet. Dafür greift er oft zu seiner Zither, und alle anderen schweigen dann. Weil der Opa spielt. Und den "Dritten Mann" in die Bucht von Majakovac zaubert. Das kann hier nur er.

Irgendwann sind sie alle tot

Dann kommt eines Sommers die Nelka nicht mehr zum Kaffee, weil sie tot ist. Bald kommt auch die alte Grozde nicht mehr, weil sie ihr Haus verkauft. Jasmina liegt in Zürich im Spital, und es ist ungewiss, ob sie wieder herauskommt. Der Petar Kirigin fällt betrunken von seinem Maultier und bricht sich den Hals. Die Stimmen der Alten werden weniger und leiser. Oft trinken sie den Kaffee schweigend. Auch die Zither schweigt irgendwann für immer. Opas Hände sind schwach, und die Fingergelenke schmerzen. Und irgendwann sind sie alle tot. Alle "Tanten", Oma, Opa, mein Vater, meine Mutter. Und auch das Maultier vom Kirigin.

Jetzt sitze ich auf der Veranda. Mit meinen Freunden. Miles Davis spielt Trompete. Und unser Sohn spielt angeblich mit Plastikautos, während seine Ohren so spitz sind wie bei Mr. Spock. Es ist der beruhigende Gang der Dinge. Ich bin glücklich.

Summer in Siam

Inzwischen ist die Veranda gewachsen, wie das Haus auch. Nun sind es gut 20 Quadratmeter, den Schatten spendet nicht nur die große Pinie, sondern ein Sonnendach auf Gebälk aus schönen roten Dachziegeln. Und die Sommer sind mittlerweile trockener und heißer als in meiner Kindheit. Deswegen beginnen wir auf der Veranda zu essen, zu schlafen und zu chillen.

Ein großes Moskitonetz, zwei Matratzen und Omas nervige Palme. Der alte Esstisch, Plastiksessel aus dem Spritzgussverfahren, ein immer voller Aschenbecher, einige immer leere Weinflaschen. Eine Ameisenstraße, die zu den Brotkrümeln führt, die neben dem Teller mit den Fischgräten liegen. Etwas Petersilie und Knoblauch, tranig vom Olivenöl. When it's summer in Siam though we go through many changes ...

Immer wache ich als Erster auf. Dann mache ich Kaffee, drehe den Morgenjoint und sehe meiner kleinen Familie beim Schlafen auf meiner Veranda zu. Dann reite ich auf meinem alten Freund Wahoo 2007 nach Sutivan und kaufe Fisch, Brot, Wein und Tomaten. Dann mache ich Feuer im Kamin. Dann grille ich die Fische und schneide den Salat. Dann wecke ich meine Familie, und wir frühstücken die Adria. Dann ist es 9 Uhr morgens. Und ich bin betrunken auf meiner Veranda.

When it's summer in Siam then all I really know is that I truly am ...

Nanny in Not

Als ich ihr begegne, ist sie nur eine weitere Nanny, über die unser Sohn stolpert. Doch Kathrin ist eine Nanny in distress. Die Eltern "ihres" Mädchens leben in Hassliebe. Mehrmals am Tag. Deswegen biete ich ihr die Fahnenflucht an. Mit einem Angebot, das keine Nanny ausschlagen kann: zwei Stunden täglich auf unseren Sohn aufzupassen und bei freiem Zimmer den Rest des Tages zu genießen. Bald sitzt Kathrin das erste Mal auf meiner Veranda.

Kathrin ist zwanzig, Studentin der Informatik aus Kopenhagen, blond, hübsch, behütet, wohlerzogen, leise. Ein turbobraves Mädchen aus gutem Hause. Das Böse nur aus Erzählungen anderer kennend. Oder aus der Zeitung. Allerdings ist sie auch mit Neugier und Humor ausgestattet. Sie lacht herzlich über den einen Wikinger-Witz*, den ich kenne, die Reste unseres Frühstücks stören sie nicht, den leichten Odem von Knoblauch, Petersilie und Olivenöl findet sie appetitanregend, einen Schluck Wein nimmt sie gerne an, obwohl der Vormittag nur vorgerückt ist. Dann kommt Roko zu Besuch auf meine Veranda.

Die traurige Story des Roko N.

Leider sieht Roko heute aus wie ein Veteran des Krieges, der an PTSP leidet. Doch er ist kein Veteran, sondern Maler. Einst schreiben kroatische Zeitungen, Roko sei das größte Nachwuchstalent der kroatischen Malerei. Dann verliert Roko seine Zähne ans Heroin. Und seinen Geist und sein Talent und das Leuchten in seinen Augen. Als Kathrin ihn sieht, sieht sie einen Zwei-Meter-Zombie, der das Heroinsubstitut zusammen mit Alkohol und Gras überdosiert. Einer der Gründe, warum Roko nicht mehr malt, ist, dass er seine Motorik nicht mehr zur Gänze im Griff hat. Ich setze ihn auf einen Stuhl, der weit genug vom Tisch und den Weinflaschen entfernt ist. Und von Kathrin.

Roko bleibt nur, solange es Bier und Joints gibt. Das ist kurz, weil ich ihm nur eines von jedem gebe. Bald merkt die staunende Nanny aus Dänemark, dass Roko nur aussieht wie der Lehrbuch-Kriegsverbrecher, aber gänzlich harmlos ist. Als er geht, erzähle ich Kathrin die traurige Story des Roko N.

Neue Besucher

Kaum damit fertig, kommen neue Besucher. Kane "Šteta" (Schaden), Frane Motor-Doktor und seine vierte Frau, die jüngste bisher. Kane versorgt ganz Sutivan mit Gras. Ein Erwerbszweig, den er zwanzig Jahre zuvor von Frane erbt, als Frane eine Autowerkstatt in Split eröffnet. Man sieht beiden aus dem Flugzeug an, dass Teile ihrer Biografie in Gerichtsakten und auf Steckbriefen zu finden sind. Was Franes bisher jüngste Ehefrau betrifft, bedauere ich es nun, die Idee mit der Tanzstange auf der Veranda nie realisiert zu haben.

Am Nachmittag dann kommt Šime. Er ist biologisch eine Frau, und Šime (Simon) ist nur sein Nom de Guerre. Denn er führt in Kroatien den Krieg gegen die Bigotterie des Hasses auf alles, was anders ist. Šime ist einer der wichtigsten Aktivisten der LGBT-Gemeinde Kroatiens, Organisator der Pride Parade von Zagreb und kroatischer Rekordhalter an Hatemails. Und seit vielen Jahren mein guter Freund und Gast. Oder, wie Kathrin aus Kopenhagen feststellt: die erste Person auf meiner Veranda, die ihr Leben nicht vergeudet und ihr Talent für etwas Nützliches und Schönes einsetzt.

Kathrin bleibt noch zwei Wochen bei uns und weiht mit mir die Hütte, die ich für unseren Sohn baue, mit einem Glas Wein ein. Unser Sohn und ich winken ihr beim Abschied. Hoch oben auf dem Sonnendeck der Fähre winkt sie noch lange zurück.

Post iucundam ...

Wenn in Sutivan der September nicht weit ist, gibt es diesen einen Morgen, an dem alles ein wenig anders ist. Die Farbe des Himmels, der Wolken und des Meeres bekommt eine melancholische Note, die in Worten zu beschreiben mir nie gelungen ist. Es ist, als ob der Himmel etwas höher reicht als sonst und dunkler ist, als ob die Wolken einen Tick weißer sind und als ob der grüne Stich der sommerlichen Adria herausgefiltert ist, sodass sie nur noch aus Teget gemacht scheint.

Dieser Morgen, der jedes Jahr zuverlässig kommt, kündigt den Abschied von meiner Veranda an. Ab diesem Morgen kann ich die Tage zählen, die am Anfang des Sommers noch zahllos schienen. Unser Sohn fragt mich: "Papa, warum bist du so traurig?"

Ich sage: "Damit ich nächsten Sommer wieder glücklich sein kann." (Bogumil Balkansky, 27.10.2017)