Tenor Juan Diego Flórez über das Spannende an seinem Beruf: "Auf die Bühne zu gehen ist ein bisschen wie an einem Stierkampf teilzunehmen."

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Juan Diego Flórez, "Mozart", € 19,99, Sony 2017.

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Wien – Imaginiert Juan Diego Flórez, wie das für ihn im 19. Jahrhundert gewesen wäre, sieht er vor seinem inneren historischen Auge reichlich Arbeit: "Damals hätte ich viel mehr singen müssen, es hätte nicht genug Pausen gegeben. Sie produzierten Opern am laufenden Band, und als Sänger wolltest du dabei sein", so der in Lima Geborene, der seit etwa vier Jahren in Wien lebt.

Das einstige vokale Niveau, so Flórez, "muss hoch gewesen sein, es lässt sich an den Noten ablesen. Nachdem sie ständig sangen, waren die Karrieren der Vokalisten aber kürzer als heute. Heute kannst du entscheiden, was du nicht machen willst."

Flórez ist sich natürlich bewusst, dass dies Neinsagen vom Karrierelevel abhängt, das bei ihm lichte Höhen erreicht hat. Weltweit besingt Flórez das romantische Belcantorepertoire. Weltweit füllt er auch die Konzerthäuser und zeigt sich dabei auch als Charmeur der leichteren Muse. Bei Liedchen (wie Bésame mucho) greift er etwa gern zur gitarristischen Selbstbegleitung.

Entspannter Sänger

Man muss sich Flórez als entspannten Sänger vorstellen, alles andere wäre ein Verbrechen gegen die Fakten. Erzählt er von Pesaro, wo er 1996 als Einspringer überzeugte, muss aber selbst er noch immer staunen. "Einen bekannten Namen hatten sie nicht gefunden, also fragten sie mich. Ein paar Monate zuvor war ich ja noch Student in den USA, nach dem Abend sang ich bald an der Scala ... Alles kam in Bewegung, ich musste Repertoire pauken. Einmal lernte ich eine Partie in fünf Tagen – die Noten kamen per Fax ..."

So hektisch ist es nicht mehr; Flórez teilt es sich ein. "Wenn ich Auszeit habe, singe ich gar nicht – drei Tage lang. Mehrere Wochen nicht singen geht nicht. Habe ich sechs Tage frei, studiere ich etwas ein. Offenbachs Hoffmann, den ich noch nicht kenne, werde ich etwa im Dezember studieren, um mich für die Jänner-Premiere in Monte Carlo vorzubereiten. Ich nehme mich beim Singen auf, höre das dann nach, ich gehe auch auf Spotify, studiere andere Tenöre." Bei Proben käme dann der Feinschliff.

Die Sängerkarriere sei "im Prinzip nicht schwer. Hat man ausreichend Technik – und die braucht es, um etwas auszudrücken -, ist es pure Freude. Ja, es kann Hotels geben, die du nicht magst. Es kann Badezimmer geben, die du hasst, oder zu harte Betten. Auch Proben können anstrengen. Aber auf der Bühne zu stehen ist Spaß. Es ist auch nicht schlimm, ein bisschen nervös zu sein. Eine kleine Anspannung ist eher nett, sie hilft – das ist wie beim Tennis."

Vor dem Konzert ein Schlaf

Zugleich ist Flórez aber auch ein sehr vorsichtiger Zeitgenosse, der auf sein Instrument gut achtgibt. Es gab – mitten in Interviews – schon spontane Lokalwechsel, da ihm die Rahmenbedingungen für die Stimme inadäquat schienen. Auch pflegt Flórez am Konzerttag spezielle Rituale: "Ich studiere am Tag des Konzerts viel, eigentlich am meisten. Es gibt Proben, danach schlafe ich. Dann aber bereite ich mich vor, indem ich alle Arien durchgehe. Dabei befasse ich mich sehr intensiv mit der Technik."

Prinzipiell sucht Flórez "die Natur in der Stimme, das Einfache und Gelöste", und dies auch bei Mozart, den er für Sony auf CD eingespielt hat. "Mozart ist das Introvertierte schlechthin – speziell für einen Tenor. Er muss eher rein klingen, wobei ich es ein bisschen expressiver mag, Abwechslung ist wesentlich. Aber man muss einen Plan haben; die Arien sind lang."

Studioaufnahmen sind für Flórez jedoch nicht Abbilder des Realen. "Live hast du nur eine Chance, im Studio gibt es Wiederholungen zum Zweck der Verbesserung." Er jedenfalls ziehe die Bühne vor: "Auf die Bühne zu gehen ist wie einen Stierkampf zu absolvieren." Nur sicherer. Wer dahingerafft wird, steht auf und empfängt Ovationen – wenn er singt wie Flórez. (Ljubisa Tosic, 23.10.2017)