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Theresa May verließ den EU-Gipfel, nachdem sie dort deponiert hatte, unbedingt einen Deal in Sachen Brexit zu wollen.

Foto: REUTERS/Eric Vidal

Brüssel/London –Die britische Premierministerin Theresa May hat ihre Kollegen auf dem EU-Gipfel in Brüssel um schnelle und vorzeigbare Fortschritte bei den Brexit-Gesprächen gebeten. Damit hat sich die Einschätzungen Großbritanniens zum Brexit laut Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) geändert.

"Theresa May hat bestätigt, dass sie unbedingt einen Deal möchte und dass kein Deal nicht mehr besser ist als ein schlechter Deal", sagte Kern Freitagfrüh. Das sei eine positive Entwicklung. May habe auch bestätigt, dass man gute Lösung für EU-Bürger in Großbritannien brauche. "Da sind auch viele Österreicher betroffen, die uns natürlich ein Anliegen sind", so Kern. "Ein bisschen Sorge" habe er, dass der Zeitplan nicht eingehalten werden könnte.

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel glaubt fest an einen Erfolg der Brexit-Verhandlungen. "Ich habe da eigentlich überhaupt gar keinen Zweifel, wenn wir geistig alle klar sind", sagte die CDU-Chefin. Sie sehe "null Indizien dafür, dass das nicht gelingen kann".

Maltas Regierungschef: "Ihr bester Auftritt"

Laut dem maltesischen Regierungschef Joseph Muscat hat May aber keinen Durchbruch erreicht. "Sie hat ihre Position verändert", sagte Muscat. "Aber ich denke, es hat nicht wirklich etwas geändert." Allerdings: "Ich denke, es war ihr bester Auftritt bisher."

Am Freitagvormittag wollen die 27 EU-Mitgliedsländer ohne Großbritannien über den Fortgang der Austrittsgespräche beraten. Bisher blockierte vor allem die Frage finanzieller Zusagen Großbritanniens die Verhandlungen.

Der Ball liegt bei London und Brüssel

Wichtig sei nun auch, wie die EU das Mandat für die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zu Großbritannien formuliere. "Deshalb sehe ich den Ball nicht nur bei Großbritannien", erklärte Merkel. "Gleichermaßen sehe ich ihn auch bei uns." Die EU müsse sich überlegen, "was denn unsere Antwort auf eine nicht vollständige Einhaltung der Freiheiten des Binnenmarkts" sei. Großbritannien habe sich noch nicht erklärt, aber auch die EU habe noch keine klare Festlegung.

Alle Seiten müssten sich für ein Ergebnis einsetzen, "hinter dem wir stehen können und das wir vor unseren Leuten rechtfertigen können", hatte May nach Angaben ihrer Regierung am Donnerstagabend bei einem Abendessen mit den Staats- und Regierungschefs in Brüssel gesagt. Sie richtete demnach eine direkte Bitte an ihre Kollegen: "Es besteht die klare und dringende Notwendigkeit, dass die Dynamik, die Sie schaffen, uns gemeinsam voranbringt."

May verwies vdarauf, dass sie kürzlich mit ihrer Grundsatzrede in Florenz selbst die Initiative ergriffen und damit für einen "neuen Geist" in der Brexit-Debatte gesorgt habe. "Ich habe die Schwierigkeiten erkannt, in denen der Prozess steckte."

"Schwieriger politischer Hintergrund"

Bei dem Appell hatte May offenbar auch innenpolitische Zwänge im Auge. In ihrer Konservativen Partei erhalten radikale Austrittsbefürworter Zulauf, die sich einen "harten Brexit" – also ein Ausscheiden ohne Einigung mit Brüssel – vorstellen können. "Es ist eine Tatsache, dass die Premierministerin vor einem schwierigen politischen Hintergrund agiert", sagte ein britischer Regierungsvertreter. May wolle ihren EU-Kollegen klarmachen, wie wichtig eine Vereinbarung sei, "von der die Briten glauben, dass sie im besten Interesse Großbritanniens ist".

Anders als zunächst von London erhofft wird der Brüsseler Gipfel noch nicht grünes Licht für den Übergang zur zweiten Verhandlungsphase geben. Hauptgrund dafür sind fehlende Fortschritte in den Gesprächen über die Finanzforderungen der EU an Großbritannien. Sie werden in Brüssel auf 60 bis 100 Milliarden Euro geschätzt. London hat bisher nur rund 20 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.

Dagegen wollen die Staats- und Regierungschefs nach dem Entwurf der Gipfelerklärung bei der Zukunft der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien "die gemachten Fortschritte begrüßen". Auch in der Frage der künftigen Grenze zwischen Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland sehen sie "einige Fortschritte".

Corbyn macht Druck

Die Staats- und Regierungschefs wollen sich bei ihrem Gipfel im Dezember erneut mit der Frage befassen, ob nun die Zeit für den Übergang in Phase zwei gekommen ist. Als Zugeständnis an May beim jetzigen Treffen plant die EU aber, schon interne Vorbereitungen auf Phase zwei zu beginnen. Das schließt auch einen möglichen Übergangszeitraum nach dem Brexit im März 2019 ein, den May vorgeschlagen hatte.

Auch der britische Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn war am Donnerstag nach Brüssel gereist, "um sicherzustellen, dass die Verhandlungen in die Spur kommen", wie Corbyn sagte. Er warnte vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU ohne eine Vereinbarung mit Brüssel. Ein solcher Schritt wäre "katastrophal" für Großbritanniens Wirtschaft und Industrie, sagte er dem Sender Sky News. (APA, AFP, dpa, red, 20.10.2017)