Beim Begrüßungsritual wird sofort klar, dass Jean-Claude Juncker Sebastian Kurz zu jenen zählt, die er sehr gerne hat.

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EU-Ratspräsident Donald Tusk (links) bezeichnete das Gespräch mit Sebastian Kurz als gutes Treffen mit einem "echten proeuropäischen Sieger der österreichischen Wahlen".

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Sebastian Kurz ist angekommen, wie es scheint. Nur vier Tage nach seinem Wahlsieg am Sonntag hat der ÖVP-Chef und Außenminister von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zwar noch nicht einmal den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen, das soll erst am Freitag geschehen.

Dennoch konnte sich der 31-Jährige am Donnerstag in Brüssel beinahe schon wie ein Bundeskanzler aus Österreich fühlen. Im gewohnten Slim-Fit-Anzug, neuerdings mit Krawatte, war der Außenminister den halben Tag über umgeben von Präsidenten und Premierministern aus der Parteienfamilie der Christdemokraten in der Europäischen Volkspartei (EVP), wurde herumgereicht.

Diese gratulierten ihrem neuen "Junior" mit Freude zum Erfolg, einerseits. Weil nach dem politischen Rechtsruck eine schwarz-blaue Koalition unter Kurz' Führung in Wien bevorstehen könnte, an der eine Partei teilnimmt, die in EVP-Kreisen als EU-feindliches Mitglied der Le-Pen-Fraktion im EU-Parlament abgelehnt wird, wurde er aber umso neugieriger beäugt: Wird sich das seit dem EU-Beitritt 1995 besonders integrationsfreundliche Land in Zukunft abwenden? Das ist die Kernfrage, die die Proeuropäer quer durch die Union beschäftigt.

Auf Europakurs abgeklopft

Der EU-Gipfel wurde am Donnerstag genutzt, um den Österreicher in Bezug auf seinen künftigen Europakurs abzuklopfen. Den Anfang machte um Punkt 9.30 Uhr in der Früh Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er empfing Kurz in der kleinen Privatbibliothek vor seinem Büro.

Beim Begrüßungsritual wird sofort klar, dass er Kurz zu jenen zählt, die er sehr gerne hat. Solche werden geküsst. Juncker setzt zur Umarmung an, will dem Österreicher einen Schmatz auf die Wange drücken, aber dieser dreht sich im entscheidenden Moment leicht weg. Der freundschaftliche "Ritterschlag" erscheint daher ein wenig ungelenk, als die beiden im Büro des Präsidenten zu einer langen Aussprache verschwinden.

Nach dem Treffen unter vier Augen lässt Juncker wissen, dass es "ein sehr gutes Gespräch" gewesen sei – und dass er die innenpolitische Lage in Österreich, die Machtverhältnisse, die Möglichkeiten zu Koalitionen gut einschätzen könne.

Am Abend bestätigt der Kommissionspräsident dem STANDARD: "Kurz hat zugesagt, dass er eine proeuropäische Regierung machen wird und dass es keine Probleme gibt. Es war ein sehr gutes Gespräch." Auf die Frage, ob er Bedenken wegen der FPÖ in der Regierung habe, sagte er: "Da mische ich mich nicht ein. Kurz hat gesagt, dass er nach dem Auftrag zur Regierungsbildung mit allen Parteien reden will."

Aussprache zwischen Kurz und Merkel

Knapp war die Auskunft des Ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk, der den ÖVP-Chef ebenfalls empfing, via Twitter: "Ein echter proeuropäischer Gewinner der Wahlen in Österreich."

Beim anschließenden Treffen aller EVP-Granden und einer Aussprache von Kurz mit Angela Merkel zeigte sich der Fraktionschef der EVP im EU-Parlament, Manfred Weber, optimistisch: "Irgendwelche Spinnereien von Radikalen" hätten in der künftigen Regierung in Wien keinen Platz, ebenso Ideen von einem Austritt aus der EU ("Öxit") oder der Eurozone.

Vielmehr könne Österreich "Brückenbauer" zwischen Osteuropa, Deutschland und Frankreich sein. Umso auskunftsfreudiger zeigte sich Kurz. Er nutzte alle Auftritte zwischen den Terminen zu ausführlichen Bekenntnissen zum "proeuropäischen Kurs" seiner Partei, die "immer die Europapartei ist, war und sein wird".

Bei der EVP erteilt er den Ideen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, wonach Österreich der Visegrád-Gruppe mit den EU-skeptischen Ungarn und Polen beitreten sollte, eine glatte Abfuhr. Sein Ziel sei es, dass "Spannungen in Europa weniger werden, nicht mehr". Er will "enge Zusammenarbeit mit Deutschland und Frankreich", zu Osteuropa "gleichzeitig einen guten Kontakt".

Besuch bei Macron

So geht es dahin. Vor Journalisten betont der ÖVP-Chef, wie froh er sei, dass es mit Macron "einen starken proeuropäischen Präsidenten gibt". Dieser habe ihn eingeladen, man wolle "so rasch wie möglich Ideen austauschen" zur EU-Reform. Kurz sagt, dass er mit Merkel und Deutschland ganz auf einer Linie sei bei der Vollendung der Währungsunion, der Europolitik, dass er zwar für Subsidiarität sei, Nationalstaaten "das Kleine" erledigen sollten, aber auch für eine starke geeinte EU in den großen Fragen Verteidigung, Sicherheit, Migration".

Und Kurz verrät ein bisschen, was er mit Juncker über die FPÖ geredet habe. Dieser habe ihn nicht ermahnt, sagt er. Aber natürlich habe man sich ausführlich "über die Parteien und mögliche Koalitionen unterhalten" und was auf Österreich 2018 im EU-Vorsitz zukommen werde. Dabei habe er dem Kommissionschef eines versichert: "Jede Regierung, die ich anführe, wird eine proeuropäische sein, mit dem Willen, die Union zum Besseren zu verändern, Krisen zu lösen." Aber: Eine Einmischung werde es nicht geben: "Wir entscheiden das selbst."

Juncker zeigte sich zufrieden: Er "vertraue darauf, dass er eine solche Regierung machen wird". Wie das gehen soll, blieb offen. In Brüssel sieht man, dass eine ÖVP-FPÖ-Regierung wohl kommen wird, weil die SPÖ unter ihrem Chef, Bundeskanzler Christian Kern, nach derzeitigem Stand kaum zur Koalition mit umgekehrten Vorzeichen bereit ist. (Thomas Mayer aus Brüssel, 19.10.2017)