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Nobelpreisträger Richard Thaler.

Foto: REUTERS/Kamil Krzaczynski

Mit dem Wirtschaftsnobelpreis für den Verhaltensökonomen Richard Thaler diskutiert jetzt alle Welt über "Nudging" – also die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen zu steuern, indem man Umgebungen auf eine bestimmte Weise gestaltet. Bekanntestes Beispiel: die Schale Obst in Augenhöhe im Büro, die dazu führt, dass die Menschen tatsächlich mehr Obst essen. Dass dieses Prinzip nicht unproblematisch ist und zu allerlei Manipulationen einlädt, ist ja offensichtlich. Die gängigen Gefahren und Vorbehalte hat Sascha Lobo kürzlich in seiner Kolumne im "Spiegel" noch einmal notiert.

Allerdings verwundert die Ausrichtung der Debatte ein bisschen, die sich nämlich irgendwie um Pro und Kontra Nudging zu drehen scheint. Aber stellt sich diese Frage denn überhaupt? Vielleicht bin ich bei diesem Thema gerade etwas vorurteilsbelastet, weil ich vor einigen Wochen das Buch "What Works? Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann" von Iris Bohnet gelesen habe. Sie ist ebenfalls Verhaltensökonomin und hat in ihrem Buch unzählige Studien zusammengetragen, aus denen deutlich wird, dass die Gestaltung von Räumen, Abläufen, bis hin zu Formularen entscheidend beeinflusst, ob in einer bestimmten Situation Männer oder Frauen erfolgreicher sind. Berühmtes Beispiel hier: der Vorhang, hinter dem Menschen vorspielen, die sich für ein Orchester bewerben, sorgt dafür, dass die Chancen von Frauen, genommen zu werden, um 50 Prozent steigen.

Es gibt keine neutrale Umgebung

Wäre es also auch schon Nudging, wenn in der Vorhalle einer Universität nicht nur die zehn Porträts der bisherigen Universitätspräsidenten hingen, sondern auch zehn von Frauen, die dieses oder jenes Bedeutende getan haben? Faktisch jedenfalls wäre es das, denn es ist empirisch nachweisbar, dass Menschen sich in einer Umgebung mit großen Männerporträts anders verhalten als in einer Umgebung mit gemischten oder gar keinen Porträts.

Der Punkt ist: Es gibt keine nicht gestaltete, neutrale Umgebung. In puncto Gleichstellung lässt sich sagen, dass wir aus historischen Gründen in einem Arrangement leben, das uns permanent in kleinen Schubsern dazu drängt, Männer zu bevorzugen. Das nennen wir allerdings nicht Nudging, sondern Normalität.

Ich glaube, das stimmt auch für alle anderen Bereiche. Nehmen wir das Rauchverbot: Ich habe nämlich am Schreibtisch bis zum Verbot geraucht. Ohne das hätte ich wohl nie meinen Rauchkonsum reduziert. Ich betreibe entsprechend auch Selbstnudging, indem ich es zum Beispiel vermeide, Eierlikör im Haus zu haben, weil ich ihn nicht nicht trinken kann, wenn er da ist.

Die Banalität des Begriffes

Die maßgebliche Erkenntnis der Verhaltensökonomie ist doch eben die, dass Menschen sich in den meisten Fällen nicht rational entscheiden, sondern aufgrund von spontanen Impulsen, Gewohnheiten, Vorurteilen, Gefühlen. Ich finde diese Erkenntnis ja eigentlich banal, so banal wie Thalers Selbstzusammenfassung über die wichtigste Erkenntnis aus seiner Forschung: "Ökonomen sind menschlich, wirtschaftliche Modelle müssen das berücksichtigen."

Genauso banal wie diese Erkenntnis ist auch die, dass Nudging funktioniert. Mir kommt es fast schon albern vor, dafür überhaupt ein Wort zu kreieren. Es ist banal und selbstverständlich, und nur, wer sich bisher als völlig rationaler Selbstentscheider halluziniert hat, kann davon ernsthaft überrascht sein.

Die Frage ist also, was wir nun damit machen. Es gibt keine neutrale Umgebung, so wenig wie es einen neutralen Gott gibt. Es gibt nur verschiedene Arten, Umgebungen zu gestalten. An diesem Punkt müssten die Diskussionen ansetzen. Dass wir uns erst einmal darüber klar werden und das anerkennen, wie beeinflussbar wir sind. Dass wir in einem zweiten Schritt anerkennen, dass sich das nicht ändern lässt – dass wir also aufhören, unser Selbstbild des Rationalen, aus freiem Willen Entscheidenden zu pflegen, der sich gegen "Manipulationsversuche" wehren muss.

Und dass wir dann in einem dritten Schritt anfangen, für diese Tatsache Verantwortung zu übernehmen. Indem wir über die Art und Weise, wie das Nudging in unserer Kultur und Gesellschaft betrieben wird, politisch verhandeln. Indem wir es nicht kapitalistischen Profitinteressen überlassen und auch nicht politischen Manipulateuren, sondern indem wir dazu transparente Prozesse, dezentrale Lösungen – nicht alle wollen eben in dieselbe Richtung "genudgt" werden – überlegen und Maßstäbe dessen, was wir als "gut" verstehen. (Antje Schrupp, 20.10.2017)