Die Sympathiewerte von Ulrike Lunacek waren bei Grün-Wählern nicht besser als jene von Christian Kern.

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Aus einer Makroperspektive gibt es wenige Gründe, die dafür sprechen, dass die Grünen ausgerechnet im Jahr 2017 die Einzugshürde für den Nationalrat verfehlen. Die Partei ist im Bund in Opposition (Regieren kostet in der Regel Stimmen), hat aber in den Ländern mittlerweile gute institutionelle Verankerung und Bekanntheit erlangt (man sitzt in sechs Landesregierungen). Zudem ist es nicht einmal ein Jahr her, dass ein ehemaliger Bundessprecher der Grünen ins höchste Amt im Staat gewählt wurde.

Die Hauptursache für den Absturz der Grünen muss man natürlich in der Serie an Fehlentscheidungen und unglücklichen Umständen suchen, die sich in den vergangenen Monaten aneinandergereiht haben: interne Konflikte mit der Parteijugend und innerhalb einzelner Landesgruppen, der Rücktritt von Eva Glawischnig und natürlich das Antreten der Liste Pilz. All das schadet in Summe enorm.

Aber es gibt noch etwas, das berücksichtigt werden muss. Immerhin können auch kleine Einflussfaktoren große Bedeutung erlangen, wenn man so knapp an der Einzugshürde von vier Prozent liegt. Just als es den Grünen eh schon schlecht ging, trat die SPÖ mit einem Spitzenkandidaten an, der für Grün-Sympathisanten sehr attraktiv war.

Die Grafik zeigt die durchschnittlichen Sympathiewerte für grüne Spitzenkandidatinnen (Glawischnig und Lunacek) und rote Spitzenkandidaten (Faymann und Kern) im Wahlkampf 2013 und 2017. Die Skala reicht von 0 ("gar nicht sympathisch") bis 10 ("sehr sympathisch").

Im Jahr 2013 war die Lage ausgeglichen: Grün-Wähler fanden Eva Glawischnig sympathischer als Werner Faymann (7,6 zu 4,1), Anhänger von Rot bevorzugten Faymann (7,8 zu 4,5). Im Jahr 2017 allerdings ist das Bild anders. Während SPÖ-Wähler, derselben Logik wie 2013 folgend, Christian Kern (7,9) sympathischer finden als Ulrike Lunacek (4,3), sind die Sympathiewerte der beiden Spitzenkandidaten bei Grün-Wählern ident (6,3). Dass die eigenen Wähler den Spitzenkandidaten einer anderen Partei gleich sympathisch wie die eigene Frontfrau finden, ist äußerst selten.

Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass in der 2017er-Umfrage wohl einige Grün-Wähler von 2013 schon ins rote Lager gewechselt sind. Laut Wählerstromanalysen sind 33 Prozent (Erich Neuwirth) beziehungsweise 28 Prozent (Sora) der Grün-Stimmen von 2013 diesmal an die SPÖ gegangen (ich habe allerdings, wie hier dargelegt, meine Bedenken gegenüber Wählerstromanalysen). Aber auch das gegenüber früher stark veränderte Bildungsprofil der SPÖ-Wählerschaft spricht stark für einen signifikanten Strom von Grün zu Rot.

Hat Christian Kern also die Grünen den Einzug in den Nationalrat gekostet? Falls man diese Frage überhaupt je endgültig beantworten wird können, bedarf es dazu einer viel tiefergehenden Analyse, die mit statistischen Modellen simuliert, wie das Wahlverhalten von Grün-Sympathisanten mit einem weniger populären SPÖ-Spitzenkandidaten ausgesehen hätte. Die Daten hier legen aber zumindest nahe, dass es sich dabei um eine sehr plausible Hypothese handelt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 19.10.2017)