Kamen am Wahlabend die Tränen: Frontfrau Ulrike Lunacek.

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Fordert Rücktritt des grünen Bundesvorstandes: Thomas Blimlinger, Bezirksvorsteher von Wien-Neubau.

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Wien – Nach dem desaströsen grünen Wahlergebnis ist für den Abgeordneten Julian Schmid, Listenvierter nach der folgenschweren Kampfabstimmung gegen Peter Pilz, klar: Wegen des türkis-rot-blauen Dreikampfes um die Kanzlerschaft hätte die Partei im Wahlkampffinale "viel stärker" betonen müssen, dass die Grünen "aus dem Parlament fliegen könnten". Denn für viele Jungwähler, meint der 28-Jährige, galt das als unvorstellbar – "weil sie wie ich mit dem Gefühl aufgewachsen sind, die Grünen gibt es genauso selbstverständlich wie die EU, beide waren ja schon immer da".

Doch das bisher nahezu Undenkbare gilt jetzt als allzu wahrscheinlich: Bis Donnerstag, also zur Auszählung aller Wahlkarten, müssen die Grünen um ihren Verbleib im Nationalrat bangen. Laut Sora-Hochrechnung inklusive Wahlkarten stürzten sie auf 3,9 Prozent ab – was nicht nur ein Minus von 8,6 Prozentpunkten bedeutet, sondern nach dem Stand von Montagnachmittag auch das Aus für die Ökopartei nach 31 Jahren im Parlament.

Beratungen zur fatalen Lage

Am Donnerstag berät der Erweiterte Bundesvorstand über die fatale Lage. Doch Thomas Blimlinger, Noch-Bezirksvorsteher in Wien-Neubau, der sein Amt Anfang November aus freien Stücken niederlegt, forderte im APA-Gespräch bereits den Rücktritt des gesamten Bundesvorstandes. Denn die Ursachen für das Debakel hätten sich nicht erst in den vergangenen Monaten (mit dem Aufstand der Jungen, dem Rücktritt von Eva Glawischnig als Chefin, der Abspaltung von Peter Pilz mit eigener Liste) zusammengebraut.

Als großes Versäumnis nennt Blimlinger, in dessen Bezirk die Partei um 21 Prozentpunkte auf 11,4 Prozent herunterrasselte, den mangelnden Aufbau von Nachwuchs und das Setzen auf schwer vermittelbare Themen wie den Klimawandel. Sein Fazit: "Jetzt sind die Grünen eine stinknormale Partei, die nichts Neues an sich hat." Und auch Wiens Landessprecher Joachim Kovacs hält fest: "Dass es nicht so weitergehen kann, ist hoffentlich allen klar."

Zittern um Mandate und Mitarbeiter

Bei einem Aus für den Parlamentsklub drohen die nächsten Tragödien – und zwar finanziell wie personell: 8,9 Millionen Euro würden die Grünen an Fördergeldern verlieren, nämlich Parteien-, Klub- und Akademieförderung. Dazu müssten Millionenschulden aus dem Wahlkampf beglichen werden. Die meisten Länder haben sich zwar solidarisch erklärt, doch einige sind selbst finanzschwach oder stehen vor Wahlen.

Damit nicht genug, zittern neben den 21 Abgeordneten dutzende Mitarbeiter um ihre Jobs. Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek, der am Wahlabend die Tränen kamen, kann vorerst noch auf ihr EU-Mandat bauen. Das Amt der Vizepräsidentin im EU-Parlament gab sie für den Wahlkampf allerdings schon auf. (Nina Weißensteiner, 16.10.2017)