Die wachsende ökonomische Unabhängigkeit der Frauen dürfte bei der Entwicklung eine Rolle spielen, so die Forscher.

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Wien – In Österreich kommen trotz vergleichsweise hoher Religiosität der Bevölkerung im Ländervergleich viele Kinder von unverheirateten Paaren zur Welt. Dieser überraschende Befund ist Teil einer Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, die sich den Ursachen dafür widmet, warum Eheschließungen für die Familiengründung immer unwichtiger werden.

Daten aus 16 Ländern

Die Wissenschafter um Trude Lappegard (Uni Oslo), Sebastian Klüsener (Max Planck Institut für demografische Forschung) und Daniele Vignoli (Uni Florenz) haben dafür harmonisierte Umfragedaten aus 16 europäischen Ländern ausgewertet, die unter anderem Informationen über Geburten, Religiosität, soziale und ökonomische Faktoren sowie die Bildung der Mütter beinhalten. Betrachtet wurden dabei Frauen, die in einer ehelichen oder nichtehelichen Partnerschaft leben und zwischen 2000 und 2007 ihr erstes Kind bekommen haben.

Österreich fällt aus dem Muster

Dabei zeigten sich schon allein beim Anteil der nichtehelichen Erstgeburten zusammenlebender Paare deutliche Unterschiede: Dieser reichte von nur zwei Prozent in Italien und 8,5 Prozent in Polen bis zu 60 Prozent in Estland und Norwegen. Österreich gehört hier mit 48,5 Prozent mit Frankreich (55 Prozent), Großbritannien (47 Prozent) und Belgien (46 Prozent) zu jenen Ländern, in denen es verhältnismäßig viele nichteheliche Erstgeburten gibt.

Im Regelfall kommen in jenen Staaten, in denen die Menschen sich als religiös einschätzen, weniger Kinder in nichtehelichen Partnerschaften zur Welt. Die drei Länder mit der höchsten "Religiositäts-Rate" (Rumänien, Italien und Polen) finden sich dementsprechend auch unter den vier Staaten mit dem geringsten Anteil an nichtehelichen Erstgeburten. Österreich fällt hier komplett aus dem Muster: Von den Werten zur Religiosität her müsste es ebenfalls zu den Staaten mit vergleichsweise wenigen nichtehelichen Erstgeburten zählen – obwohl es in Wirklichkeit umgekehrt ist.

Wirtschaftliche Autonomie der Frauen als Grund?

Generell ist es aber nicht einfach, die Gründe für die Zunahme von nichtehelichen Erstgeburten zu deuten. Bisherige Studien kamen im Wesentlichen zu zwei Erklärungen, die einander auf den ersten Blick widersprechen. Einige Forscher halten den Anstieg für eine fortschrittliche Entwicklung, die etwa durch die zunehmende wirtschaftliche Selbstständigkeit von Frauen und eine stärkere Individualisierung getragen wird, heißt es im Newsletter "Demografische Forschung aus erster Hand": Ist eine Frau von ihrem Partner wirtschaftlich abhängig, bietet die Ehe im Falle einer Trennung oder eines Todesfalls eine finanzielle Absicherung. Solche ökonomischen Aspekte verlieren aber an Bedeutung, wenn beide Partner voll erwerbstätig sind und es staatliche Unterstützung in Notsituationen gibt.

Das würde etwa den höheren Anteil an nichtehelichen Geburten in Österreich erklären, wo laut dem von den Forschern erhobenen Index die ökonomische Autonomie der Frauen relativ hoch ist. Parallel dazu wenden sich viele Menschen von traditionellen und religiösen Normen ab, denen zufolge Geburten in der Ehe erfolgen sollten.

Zwei Theorien kombiniert

Allerdings müsste man bei dieser Erklärung erwarten, dass die oberen Gesellschaftsschichten Vorreiter beim Anstieg der nichtehelichen Geburten sind. In vielen Ländern ist aber genau das Gegenteil der Fall: Es sind gerade die unteren Bildungsschichten, in denen nichteheliche Geburten verbreitet sind. Deshalb erklärt ein zweiter Ansatz deren Zunahme mit einer gestiegenen wirtschaftlichen Unsicherheit in den unteren Schichten.

Die Studienautoren vereinigen nun beide Theorien: Deren jeweiliger Bedeutungsgrad sei davon abhängig, ob Unterschiede zwischen Ländern, Regionen oder Individuen betrachtet werden. Zur Klärung der Frage, warum viele hoch entwickelte nord- und westeuropäische Länder Vorreiter beim Anstieg der nichtehelichen Geburten sind, scheine der Ansatz der fortschrittlichen Entwicklung zu passen. So bekamen in Ländern, in welchen Frauen höhere ökonomische Selbstständigkeit aufweisen (wie etwa Österreich), deutlich mehr zusammenlebende Paare ihr erstes Kind außerhalb der Ehe. Gleiches gelte grundsätzlich auch für Länder, in denen die Menschen weniger religiös sind (allerdings mit der Ausnahme Österreich).

Arbeitslosigkeit als Faktor

Die Alternativ-Erklärung der erhöhten ökonomische Unsicherheit erklärt dagegen die Unterschiede zwischen den Ländern nicht: In ihren Modellen fanden die Forscher keinen Zusammenhang zwischen Arbeitslosenrate in einem Land und der Wahrscheinlichkeit einer nichtehelichen Erstgeburt. Betrachtet man allerdings Unterschiede zwischen einzelnen Individuen innerhalb von Ländern, passt dieser Ansatz wieder recht gut: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine gut gebildete Frau ihr erstes Kind außerhalb der Ehe zur Welt bringt, ist der Studie zufolge nur halb so hoch wie bei Frauen mit geringer Bildung. Außerdem gibt es in Regionen mit höherer Arbeitslosigkeit mehr nichteheliche Geburten. (APA, red, 12.10.2017)