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Harte Töne, aber mit Nuancen. Mariano Rajoy vor seiner Rede am Mittwoch.

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STANDARD: Spanien hat die katalanische Regionalregierung aufgefordert klarzustellen, ob sie die Unabhängigkeit der Region erklärt hat oder nicht. Hat sie?

Riedel: Offensichtlich ist das Dokument unterzeichnet, die Ausrufung wurde aber ausgesetzt. Der Wunsch Madrids ist verständlich, schließlich muss man wissen, auf welcher Basis man einen Dialog beginnen könnte.

STANDARD: Will die Zentralregierung denn einen Dialog?

Riedel: Ja. Man hat aber immer gesagt, man würde nicht über eine Unabhängigkeit, sondern über den Ausbau der Autonomierechte im Rahmen der Verfassung verhandeln.

STANDARD: Darüber will aber Barcelona nicht verhandeln. Was ist nun der Unterschied zu vorher?

Riedel: Rajoy gibt der Regionalregierung eine letzte Chance einzulenken. Die Hoffnung ist, dass Barcelona doch bereit ist, über Alternativen zu reden. Darüber muss jetzt dort in den nächsten Wochen diskutiert werden.

STANDARD: Wie stehen die Chancen auf einen Rückzieher Barcelonas?

Riedel: Der Regionalpräsident steht unter großem Druck. Er fühlt sich den Katalanen verpflichtet. Seine Regierung ist in einer Koalition mit der nationalistischen CUP, die auf Autonomie drängt. Damit muss er nun umgehen.

STANDARD: Puigdemont selbst wäre dazu bereit, über eine erweiterte Autonomie zu verhandeln?

Riedel: So, wie es aussieht, zögert er noch. Es gibt eine geringe Chance, dass er einlenkt.

STANDARD: Sollte es nicht zum Einlenken kommen, wird der Verfassungsartikel 155 zum Tragen kommen?

Riedel: Rajoy ist mit seiner Minderheitsregierung auf die Zusammenarbeit mit der Mitte-rechts-Partei Ciudadanos und mit den Sozialisten angewiesen. Beide Parteien drängen Rajoy, im Verfassungsrahmen zu bleiben. Ich könnte mir vorstellen, dass, sollte man in Barcelona auf der Unabhängigkeit beharren, die Autonomie vorübergehend suspendiert wird mit dem Ziel von Neuwahlen in angemessener Zeit.

STANDARD: Also entweder Rückkehr zur Diskussion über eine erweiterte Autonomie oder Neuwahlen?

Riedel: Denkbar wäre prinzipiell auch eine grundsätzlichere Lösung. Einige Teile der Kritik am katalanischen Autonomiestatut sind berechtigt. Die betreffen aber auch alle anderen autonomen Gemeinschaften in Spanien. Die Regionen können ihre Statuten immer wieder nachschärfen, das führte mit der Zeit zu Ungerechtigkeiten. Eine Alternative zum Autonomiemodell ist schon seit Jahren als Idee im Gespräch: nämlich die Einführung eines föderalen Modells. Der Chef der Sozialisten, Pedro Sánchez, hat diesen föderalen Ansatz auch am Mittwoch wieder ins Gespräch gebracht. Das würde Vorteile bei der Selbstverwaltung und der Gesetzgebung bringen. Die Regionen könnten eine gemeinsame Politik gegenüber der Zentralregierung entwickeln. Derzeit versucht jede Region, für sich das Beste auszuverhandeln. Katalonien könnte sich bei dieser Reform konstruktiv einbringen.

STANDARD: Zuerst müsste man aber eine Lösung für die aktuelle Situation finden. Vielleicht doch auch mit Vermittlung von EU-Politikern?

Riedel: Die direkte Einmischung in innere Angelegenheiten ist laut EU-Verträgen nicht vorgesehen. Die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens würde die EU aber direkt betreffen. Die Katalanen haben immer deutlich gemacht, dass sie in der EU bleiben wollen, formell gesehen geht das aber nicht. Man kann aus europäischer Sicht zumindest nachfragen: Entspricht es dem Europagedanken, wenn Katalonien als reichste Region Spaniens die Solidarität auf nationaler Ebene aufkündigt? Ist das europäisch? (Manuela Honsig-Erlenburg, 11.10.2017)

Sabine Riedel ist Politologin an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik und befasst sich seit Jahren mit Katalonien.
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