Wenn der Internationale Währungsfonds für höhere Steuern auf Spitzeneinkommen plädiert, schrillen die Alarmglocken. Bei der Organisation handelt es sich ja nicht um irgendeinen Sozialromantikverein, sondern um ein einflussreiches multilaterales Gremium, das noch dazu als neoliberal verschrien ist. Hat die wachsende Ungleichheit wirklich Dimensionen erreicht, die nur mit konzertierter Gegenreaktion abgebaut werden können? Vieles spricht dafür, zumal die Staatengemeinschaft seit Jahrzehnten in eine bedenkliche Richtung marschiert.

Da wäre der Trend sinkender Kapitalbesteuerung zu nennen, der sich neben der rasanten Entlastung von Spitzenverdienern global gefestigt hat. Rechnet man noch die in den letzten Jahren durch diverse Leaks sattsam bekannt gewordenen Versteckspiele der Superreichen hinzu, lässt sich konstatieren: Hier hat sich eine immer kleiner werdende Elite Vorteile verschafft, während anderswo schonungslos zugelangt wird. Dies stellt längst nicht mehr nur ein Gefühl der Ungerechtigkeit dar, sondern ein ausreichend belegtes Faktum. Sozialer Friede, Zusammenhalt einer Gesellschaft werden damit auf die Probe gestellt. Und noch etwas: Auch die wirtschaftliche Prosperität leidet unter der steigenden Ungleichheit.

Wohlstand sickert nicht durch

Empirisch ist belegt, dass sich eine Ökonomie schlechter entwickelt, wenn sich die Topverdiener einen immer größeren Teil vom Kuchen abschneiden. Der Trickle-down-Effekt, wonach der Wohlstand der obersten 10.000 automatisch nach unten durchsickert, bleibt ein theoretisches Konstrukt. Diese These ist umso richtiger, je weniger Chancengleichheit untere Einkommensschichten erfahren. Wer seine Kinder nicht lange genug in die Schule schicken oder Arztbesuche nicht finanzieren kann, dem wird auch die Leistungsfähigkeit genommen.

Während die Symptome der krankenden Gesellschaft gut festgestellt werden können, scheiden sich an der richtigen medizinischen Rezeptur die Geister. Die ist auch gar nicht so leicht zu finden, weil die Krankheitsbilder regional sehr unterschiedlich sind. Und nicht jeder Anstieg der Ungleichheit bedeutet, dass jemand verliert. Es sind vor allem Globalisierung und Technologisierung, die einer gut gebildeten Oberschicht Tür und Tor zu den Tresoren öffnen. Gefragte Leute und kapitalkräftige Investoren springen heute von A nach B und lassen sich nur schwer einfangen. Es wäre auch nicht förderlich, hier allzu hohe Barrieren aufzubauen und produktive Kräfte zum Erlahmen zu bringen.

Solidarbeitrag der Reichen

Das heißt aber nicht, dass es keinen Spielraum gäbe. Ganz im Gegenteil. Mit Besteuerung von Vermögenszuwachs und großen Erbschaften beispielsweise könnte deutlich stärker umverteilt werden, ohne dass sich Spitzenkräfte verziehen. Das hängt freilich immer davon ab, wo es sich steuerlich attraktiver leben lässt. Daher müsste die Staatengemeinschaft mehr Energie investieren, um das gegenseitige Abwerben von Kapital und Ideen zu begrenzen. Steuerwettbewerb hat Vorteile, Steuerdumping aber nicht. Ein Blick auf die in den USA gewälzten Pläne zur Entlastung der Topverdiener lässt da viel Skepsis aufkommen. Auch in Europa dreht sich die Steuerspirale weiter nach unten.

Dabei wird gerade die Bewältigung der Digitalisierung viel Geld erfordern – zur Qualifizierung unterer Bildungsschichten. Hier wäre ein Solidarbeitrag der Reichen nur gerecht. (Andreas Schnauder, 11.10.2017)