"Anwendbare Entdeckungen sind wichtiger als das bloße Veröffentlichen von Papers", gibt sich Erwin Wagner abgeklärt. Er hat sich ein Sabbatical verordnet.

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Wien – Man sah ihn nicht gern gehen, den Wissenschafter, der transgene, also gentechnisch veränderte Tiere als Krankheitsmodelle nach Österreich gebracht und hierzulande als Erster mit humanen embryonalen Stammzellen gearbeitet hat. Erwin Wagner war Mitbegründer des Forschungsinstitutes für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien und erhielt 1996 (gemeinsam mit Ruth Wodak) den ersten Wittgensteinpreis des Wissenschaftsministeriums. 2008 wechselte Wagner nach Spanien und ist seitdem Vizerektor am Krebsforschungszentrum Centro Nacional de Investigaciones Oncológicas (CNIO) in Madrid.

Vergangene Woche stattete er dem IMP, das im Frühjahr in ein neues Gebäude auf dem Campus des Vienna Biocenter umgezogen ist, anlässlich der Einweihungskonferenz einen Besuch ab. Wagner arbeitet noch immer am Mausmodell, aber auch mit Tumoren menschlicher Patienten. Er untersucht die molekularen Mechanismen von Entzündungen, die bei Krebs, aber auch bei Gelenkerkrankungen oder Schuppenflechte (Psoriasis) auftreten können, sowie die sogenannte Kachexie: das – auch durch Krebs hervorgerufene – starke Abmagern von Erkrankten.

STANDARD: In Spanien sind derzeit die Unabhängigkeitsbestrebungen vieler Katalanen Hauptthema. Wirken sich die Unruhen auf die Forschungsgemeinschaft aus?

Wagner: Ich weiß von führenden Forschern, die keine Katalanen sind und die jetzt von dort nach Madrid gezogen sind, weil sie sich nicht wohlfühlen. Die Separatistenbewegung macht das Leben für alle Leute, die nicht dafür sind, viel unlustiger.

STANDARD: Sie wurden 2008 ans Krebsforschungszentrum CNIO in Madrid gerufen, um dort eine neue Abteilung aufzubauen. Wie sind Sie heute aufgestellt?

Wagner: Das war ein tolles Angebot, und in der ersten Phase ist es auch sehr gut gegangen. Ursprünglich war geplant, sechs bis acht Gruppen anzuheuern. Aber dann ist die Wirtschaftskrise in Spanien eingetreten. Da war klar, dass man nicht mehr expandieren, sondern nur noch konsolidieren kann. Es ist bei fünf Gruppen geblieben. Nach einer Krise zwischen dem damaligen Direktor und der einstigen Wissenschaftsministerin hat man die neue Leiterin unter politischem Einfluss eingesetzt. Seit 2011 ist mit der konservativen Regierung auch das Wissenschaftsministerium der Wirtschaft unterstellt (im Ministerium für Wirtschaft und Wettbewerb, Anm. d. Red.), so ähnlich wie in Österreich.

STANDARD: Welche Folgen hat die politische und wirtschaftliche Lage für die Forschung?

Wagner: Es gibt weniger Interesse an Forschung, speziell an Internationalität. Ich nehme an, dass man durch die hohe Arbeitslosigkeit die eigenen Leute halten will und sich fragt: Warum sollen wir welche von außen holen? Viele Gruppen bestehen nur noch aus Spaniern. Dabei ist die Interaktion von Leuten aus verschiedenen Kulturen ganz wichtig für kreative Forschung. Das läuft in Amerika so gut, weil es dort viel Zuzug gibt. Ohne diesen "Turnover" ist das ein eingefrorenes System. Ich wurde ja eigentlich auch ans CNIO geholt, um das Zentrum internationaler zu machen.

STANDARD: Es fehlt also an Geld für mehr internationale Forschende?

Wagner: Ich gebe noch ein Beispiel aus Spanien: An der Universität Alcalá außerhalb von Madrid wurden tolle Gebäude errichtet, es gibt aber keine Finanzierung für Gruppen, für ein internationales Board. Ich habe bei uns auch zwei Stockwerke zur Verfügung, nutze aber nur eines.

STANDARD: Haben Sie als Vizedirektor genug Zeit, selbst zu forschen?

Wagner: Das ist eigentlich ein Titel ohne Verantwortung, ich bin nicht eingebunden in Entscheidungen über Strategiepläne und ähnliches. Das ist eher ein Titel wie der Hofrat in Österreich.

STANDARD: Sie sind auch mit dem Ziel ans CNIO gegangen, durch viele klinische Studien näher an die Krankheiten zu kommen. Hat das funktioniert?

Wagner: Wir haben gute Erfahrungen gemacht, speziell in der Dermatologie, weil wir viele Studien zu Psoriasis und entzündlichen Hautkrankheiten umgesetzt haben. Die bürokratischen Hürden sind in dieser Hinsicht in Spanien niedriger als in Österreich.

STANDARD: Womit beschäftigen Sie sich derzeit?

Wagner: Ich bin seit Mai auf einem Sabbatical, um neue Ideen zu finden und abzuschätzen, wohin neue Entwicklungen führen könnten. Vor allem geht es mir darum, herauszufinden, was ich eher kurzfristig implementieren kann. Für die nächsten fünf Jahre habe ich eine neue Förderung des Europäischen Forschungsrates ERC für ein Projekt zu chronischen entzündlichen Erkrankungen bekommen, daher plane ich für diesen Zeitraum. Daneben bin ich weiterhin in die Projekte meiner Gruppe involviert, kommuniziere per Videokonferenzen und bin zweimal im Monat vor Ort.

STANDARD: Gibt es andernorts etwas, woran Sie gern arbeiten würden?

Wagner: Ja, klar. Die Uhr tickt in jeder Hinsicht. Wenn man nichts mehr aufbauen kann und das Gefühl hat, man kann nur noch halten, was da ist, ist das nicht sehr zufriedenstellend. Das Gute daran ist, dass ich enger mit den Studenten und den Mitgliedern der Gruppe zusammenarbeiten kann und näher am Experiment dran bin. In dieser Phase meiner Wissenschaftskarriere möchte ich nach wie vor lieber mit humanen Materialien arbeiten als reine Grundlagenforschung zu betreiben.

STANDARD: Wie könnte das konkret aussehen?

Wagner: Ich würde gern Partner einer Krebsforschungsklinik sein, die beispielsweise Studien an Kachexie ermöglicht. Das ist ein ganz wichtiges, wenig beforschtes Gebiet. Mir wäre die Nähe zu eine Klinik und eine Kooperation mit Medizinern sehr wichtig. Leider ist es aber manchmal schwierig, die Menschen davon zu überzeugen, dass neue, anwendbare Entdeckungen wichtiger sind als das bloße Veröffentlichen von Papers.

STANDARD: Was ist die Schwierigkeit bei Patienten, die etwa als Folge von Krebs an Kachexie leiden, also stark abmagern?

Wagner: Auf der einen Seite sind heutzutage Diabetes und Fettleibigkeit ein großes Problem, und man versucht herauszufinden, was man machen kann, damit diese Krankheiten zurückgehen. Bei unserer Forschung ist das genau umgekehrt: Wir versuchen bei Krebspatienten, die durch den Tumor ausmergeln und anorektisch oder kachektisch werden, gegenzusteuern. Der Tumor soll nicht die gesamten Reserven des Körpers aufbrauchen – wie auch bei einer schweren Infektion. Meistens ist das aber nicht mehr reversibel. Mein Ziel ist, Biomarker zu finden, um die Patienten, die betroffen sind, rechtzeitig zu erkennen.

STANDARD: Ist Früherkennung eines der großen Themen der aktuellen Krebsforschung?

Wagner: Es ist gerade das Um und Auf, Biomarker für sehr frühe Stadien zu finden. In meinen Gruppen forschen wir viel daran, wie sich der Stoffwechsel durch die Immunzellen verändert, und zeigen das vor allem bei Leberkrebs. Immuntherapie ist in der Krebsforschung auch immens wichtig und wirkungsvoll, wie Studien gezeigt haben. Da braucht es natürlich wieder eine gute Interaktion zwischen der Klinik und der Grundlagenforschung.
(Julia Sica, 14.10.2017)