Diese Eingangshalle muss man erst einmal verstehen. Die Schächte, die wie Orgelpfeifen in den Himmel ragen. Die gläsernen Aufzüge, die an ihnen entlang nach oben schweben. Die Schüttrohre, die schwarzen Wendeltreppen, die Warnschilder. Draußen brennt die südafrikanische Sonne vom Himmel, doch hier drinnen ist alles in ein milchiges Dämmerlicht getaucht.

Das Mocaa trägt seinen Namen: Der Deutsche Jochen Zeitz besitzt auch in Kenia eine Farm.
Foto: Zeitz MOCAA

Wie beim Eintritt in eine Kathedrale kneift man unwillkürlich die Augen zusammen. Das wuchtige Betongebäude, das wie ein Koloss im Hafen von Kapstadt steht – drinnen wirkt es leicht und beschwingt.

"So etwas wie dieses Gebäude wird man nie wieder errichten", hatte einem der englische Architekt Thomas Heatherwick kurz zuvor erklärt. Erbaut wurde es im Jahre 1921, und für ganze 50 Jahre sollte es das höchste Gebäude Afrikas sein. Sein Zweck: Der Mais, den die weißen Siedler Südafrikas produzierten, wurde hier zwischengelagert: in 42 für jeweils 33 Meter in die Höhe ragenden Silotürmen. Durch Schächte wurde das Getreide in die Höhe gewuchtet, auf Förderbändern abtransportiert. Bis zum Jahr 2001 war der Speicher in Betrieb, danach verrottete die megalomane Industriearchitektur schön langsam. Mitten im Hafengelände von Kapstadt war sie nichts weniger als ein unübersehbares Symbol für die koloniale Ausbeutung Afrikas. Sie abzureißen, dafür fehlte das Geld, aus ihr etwas ganz anderes zu machen – Geld und Ideen.

"Das Museum ist das Ergebnis einer Vision"

Über beides verfügt Jochen Zeitz in Hülle und Fülle. Der großgewachsene Deutsche mit den halblangen Haaren hatte sich in seinem früheren Leben einen Namen als Manager gemacht. Unter seiner Führung wurde aus dem krisengeschüttelten Sportartikelhersteller Puma wieder eine Marke von Weltrang. Jetzt sitzt der 54-Jährige in einem der Durchgänge seines Museums und empfängt im Zwanzigminutentakt Journalisten. "Das Museum", sagt er "ist das Ergebnis einer Vision, und zwar jener, dass es in Afrika ein Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst gäbe."

Suche nach dem Ort

Jahrelang war Zeitz gemeinsam mit seinem Kurator Mark Coetzee auf der Suche nach einem geeigneten Ort, er schaute sich in Nairobi, in Johannesburg und in Bamako (Mali) um, doch erst als er eines Tages vor dem verlassenen Silogebäude im Hafen von Kapstadt stand, wusste er, dass er ihn gefunden hatte. Hier, sagt er, passe einfach alles. Kapstadt sei ein Tor für Afrika, die Stadt sei einfach zu erreichen, relativ sicher und ziehe genug Touristen an (jährlich sind es über 20 Millionen). Die Ticketverkäufe seien für ein Museum dieser Größenordnung nämlich nicht zu vernachlässigen.

Between 10and5

Schon in seiner Zeit als Manager gab sich Zeitz nie mit kleinen Brötchen zufrieden. Im Alter von 30 Jahren war er der jüngste Vorstandsvorsitzende eines deutschen Unternehmens. Den Sportartikelhersteller Puma modelte er zum globalen Lifestyle-Unternehmen um, und als er sich nach 19 Jahren an der Spitze des Unternehmens zurückzog, war er jede Menge Erfahrung und viele Millionen Euro reicher.

Auch heute noch verzichtet Zeitz wie zu seiner Zeit bei Puma auf die Krawatte, mittlerweile ist sogar das Jackett einem formlosen Pulli gewichen. "Ich wollte nie Kunstsammler werden", sagt er: "Diese Sammlung hier habe ich nicht für mich zusammengetragen. Sie dient einem anderen Zweck." Er erzählt von den Pop-Art-Werken, die er in seinen Zwanzigern in New York erstanden hat. Damals war er bei Colgate-Palmolive beschäftigt, und die Ankäufe dienten dem eigenen Hausgebrauch.

Eine technologische Meisterleistung: Einst war der riesige Betonklotz im Hafen von Kapstadt ein Getreidesilo, heute beherbergt er afrikanische Gegenwartskunst. Um die Betonsilos aufzusägen, mussten erst spezielle Geräte entwickelt werden. Als Schnittmuster diente die Form eines Maiskorns.
Foto: Zeitz Mocaa

Heute ist Zeitz wohl die weltweit einflussreichste Person, wenn es um afrikanische Gegenwartskunst geht, und nicht wenige können darüber nur den Kopf schütteln. Ein Sammler, der nicht wirklich ein Sammler sein will. Ein weißer Europäer, der auf dem schwarzen Kontinent das erste Museum für afrikanische Gegenwartskunst errichtet. Ein Kunstszenenfremder, der von Kapstadt aus den Anspruch hat, in die erste Liga der Museumsstädte vorzustoßen. Glaubt man manch einem Beobachter, könnte das Zeitz Mocaa, so der offizielle Name des Museums, schon bald in einem Atemzug mit der Tate Modern in London oder dem Guggenheim in Bilbao genannt werden.

Genauso wie die beiden europäischen Museen ist das umgebaute Silo in Kapstadt schon jetzt nicht nur ein Museum, sondern auch das Wahrzeichen einer Stadt. Früher einmal wurde hier der Reichtum Afrikas verschifft, heute kann man am selben Ort einen Einblick in einen anderen Schatz, die vielfältige Kunstproduktion des Kontinents, bekommen. "Beschäftigt man sich mit afrikanischer Kunst, dann stellen sich unweigerlich ein paar Fragen", hatte Kurator Mark Coetzee bei der Pressekonferenz erklärt: "Wer spricht, wer autorisiert, und was wählt man aus."

42 Röhren, jede ragt 33 Meter in die Höhe.
Foto: Zeitz MOCAA

Coetzee stammt aus Südafrika, hat aber die meiste Zeit anderswo gearbeitet. Er spricht sanft und eloquent, trägt die typische Kunstuniform (dunkler, verschnittener Anzug) und weiß genau, was die Journalisten an diesem Morgen hören möchten. Afrikanische Kunst ist immer auch ein Stück afrikanischer Kolonialgeschichte. Ihr etwas entgegenzusetzen, das hat man sich mit der Errichtung dieses Museums vorgenommen.

Jahrhundertelang wurde afrikanische Kunst durch eine westliche Brille gesehen, noch heute sind unsere Völkerkundemuseen voll mit afrikanischen Kultobjekten. Als afrikanische Kunst wurde nur das angesehen, was der westlichen Vorstellung davon entsprach. "Lange sind die Kunstwerke Afrikas in die ganze Welt gegangen", erklärt Coetzee und senkt ein wenig die Stimme: "Das wollen wir ändern. Wir möchten, dass afrikanische Kunst in Afrika bleibt."

So liberal sich die heutige Kunstwelt gibt, so klar sind ihre Zentren definiert. Erst als Johannesburg 1997 eine Biennale ausrichtete und die Documenta im Jahre 2002 von Okwui Enwezor aus Nigeria kuratiert wurde, setzte ein Umdenken ein. Waren es in den 1990er-Jahren chinesische Künstler, die einen regelrechten Hype am Kunstmarkt auslösten, rückten immer mehr afrikanische Positionen in den Mittelpunkt, Künstler wie Kudzanai Chiurai aus Simbabwe, der in seinen Fotografien den Protz und die Gewalt der Mächtigen in den absurden Kitsch dreht, oder William Kentridge, der mit seinen Kohlezeichnungen und Animationsfilmen der im Westen wohl bekannteste Künstler Afrikas ist.

1921 wurde das Getreidesilo erbaut.
Foto: Zeitz MOCAA

Beide Künstler sind natürlich auch in der Sammlung von Jochen Zeitz vertreten, so wie andere, die an diesem Tag nach Kapstadt gekommen sind. Nandipha Mntambo etwa, eine großgewachsene Künstlerin aus Swasiland, die aus gegerbten Kuhhäuten eindrucksvolle Installationen macht oder der smarte Athi-Patra Ruga, der über Postkolonialismus doziert und durch dessen Fotografien quietschend pinke Zebras galoppieren. Ihre Werke hängen oder stehen in einem der 60 kühlen White Cubes, die Architekt Thomas Heatherwick in das Silogebäude fräsen hat lassen. Zur Eröffnung zeigt man ganze 14 Ausstellungen, Chiurai und Mntambo sind dabei, aber auch der Angolaner Edson Chagas, der weggeworfene Objekte fotografiert und so die verdeckte Seite der Warenwelt dokumentiert.

Fotografien machen einen großen Teil der Kunstwerke im Museum aus, das reflektiert die Bedeutung, die das Medium in der afrikanischen Kunstproduktion hat. Der Dschungel und die Waffen, die Armut und die Masken, also all das, was man auch aus westlicher Sicht mit Afrika verbindet, werden in ihnen aufgegriffen und ins Monströse oder Absurde gedreht. "Wir bestimmen selbst, welche Themen wir verhandeln – und wie wir es tun", hatte einem der Südafrikaner Ruga im schwarzen Rolli erklärt. Er ist ein Star unter den jüngeren Künstlern. Ob in Form von Fotografien, von Performances oder Mode – Letztere ist ein wichtiges Medium bei den afrikanischen Künstlern. "Dieses Museum gibt uns endlich die Gelegenheit, dass auch unsere Familien sehen, was wir tun."

Sichtbarkeit und Selbstbestimmung, das sind Worte, die im Mocaa des Jochen Zeitz ständig fallen.

Heute ist im Zeitz Mocaa afrikanische Gegenwartskunst zu sehen: zum Beispiel die Werke von Athi Patra Ruga ...
Foto: Zeitz MOCAA

Vielleicht ist auch das der Grund, warum der Gründer des Museums über die einzelnen Künstler oder Kunstwerke am liebsten gar nichts sagen würde. Nur so viel vielleicht: "Es ging bei meiner Sammlung nie um persönliche Vorlieben. Wir haben von Anfang an mit einem einzigen Ziel gesammelt: den Grundstock für ein Museum afrikanischer Gegenwartskunst zu errichten." Das, sagt Zeitz, und schaut dann auf die Uhr, sei ein vollkommen anderer Ansatz als ihn herkömmliche Sammler hätten. "Man kauft nicht nur ein Werk, mal hier, mal da, sondern man kauft in die Tiefe." Man stelle sich Fragen wie jene, ob ein Künstler auch repräsentativ sei oder ob die wichtigsten Kunstgenres abgedeckt seien.

Wie viele Kunstwerke über die Jahre zusammengekommen sind, darüber gibt Zeitz keine Auskunft, Schätzungen gehen von einigen Tausend aus. Auch die Frage, wie viel Geld er in den Aufbau der Sammlung gesteckt hat, will er nicht beantworten. Genauso wenig, ob er jeden Ankauf abgesegnet hat. Jahrelang war es Zeitz gewohnt, in der ersten Reihe zu stehen, hier in Kapstadt steht er lieber im Hintergrund. Bei der Pressekonferenz sitzt er unscheinbar im Publikum, das Wort überlässt er seinem Kurator Mark Coetzee. "Sagen wir so, ich bin der Kickstarter des Projekts, nicht mehr und nicht weniger."

Auf eigenen Beinen stehen

Mittelfristig schaue man sich nach einem Aufsichtsratsvorsitzenden um, der Afrikaner ist, in Zukunft soll das Museum auch die Werke anderer Sammler beherbergen. "Kinder müssen irgendwann auf eigenen Beinen stehen. Das ist auch bei diesem Museum so."

... und von Nandipha Mntambo.
Foto: Zeitz MOCAA

Aus eigenen Kräften hätte Zeitz das Projekt bisher nicht stemmen können, von Anfang an standen an seiner Seite mächtige Gehilfen. Um ihre Möglichkeiten abzuschätzen, muss man nur aus einem der Wabenfenster des Luxushotels Silo blicken, das in den Obergeschoßen des Museums untergebracht ist: Shoppingmalls und Riesenräder, Food-Courts und Riesenhotels säumen das Hafenareal. Die V&A Waterfront gehört zu den meistbesuchten Touristenattraktionen des Kontinents, neben Konsum soll in Zukunft Kultur einer der Gründe sein, warum man hierherkommt.

Rund 40 Millionen Euro soll sich die V&A Waterfront die Errichtung des Museums kosten haben lassen, ein günstiger Preis, bedenkt man, was Bauten vergleichbarer Größe in Europa verschlingen und welche technischen Mühen das Team um Architekt Thomas Heatherwick in der dreieinhalbjährigen Bauphase auf sich nehmen musste. Um die Betonsilos aufzusägen, mussten erst spezielle Geräte entwickelt werden. Als Schnittmuster diente die Form eines Maiskorns. Wo bisher Vögel nisteten, mussten die Voraussetzungen zur Lagerung von Kunst geschaffen werden, wo bisher nur Röhren waren, wurden Räume geschaffen.

Museums-Rundgang.
VernissageTV

Und was für welche: Beinahe andächtig stehen die Besucher im Atrium. Was hier alt ist und was neu, ist nicht so leicht auszumachen. Eine Architektur, die einst reine Funktion war, präsentiert sich in beinahe sakraler Erhabenheit. Eine Kathedrale. Aber eine, in der es nicht um den Glauben, sondern die Kritik und den Zweifel geht. Darum, was Kunst heute ausmacht. In Afrika genauso wie anderswo. (Stephan Hilpold, RONDO, 6.10.2017)

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