Washington/Tokio – Wenn Landtiere den Weg über das Meer gefunden und sich von Insel zu Insel oder gar von Kontinent zu Kontinent ausgebreitet haben, werden dahinter meist "schwimmende Inseln" als Verkehrsmittel vermutet: also von Stürmen oder Fluten ins Meer gespülte Ballungen aus Pflanzenmaterial, die ihre unfreiwilligen Passagiere während der Reise am Leben halten konnten. Unter anderem sollen so vor mindestens 36 Millionen Jahren die Affen von Afrika nach Südamerika gelangt sein.

Diese Boje verschlug es von Japan nach Oregon – mit ihr kam die japanische Auster Crassostrea gigas.
Foto: James T. Carlton

Von einem vergleichbaren Effekt in jüngster Zeit berichten nun US-amerikanische Forscher im Fachmagazin "Science". Allerdings handelte es sich diesmal nicht um natürliche Flöße, sondern – Zeichen der Zeit – um Plastikmüll.

Die Katastrophe

Ein Seebeben vor der Küste Japans löste im März 2011 einen verheerenden Tsunami aus, der große Teile der Küste verwüstete. Millionen Objekte – von kleinen Plastikteilen bis zu ganzen Schiffen und Teilen von Hafenanlagen – wurden damals in den Pazifischen Ozean gespült. 2012 begann ein Team um James Carlton vom Williams College damit, an der Pazifikküste Nordamerikas und den Küsten Hawaiis Bruchstücke und Wrackteile zu untersuchen, die von Japan aus angeschwemmt worden waren. Bis zur US-Küste hatten sie eine Reise von mindestens 7.000 Kilometern auf offener See zurückgelegt.

Und es zeigte sich, dass diese Müllteile als Flöße fungiert hatten: Bis zum Jahr 2017 analysierten die Forscher insgesamt 634 Objekte und die darauf mitgereisten Tierarten. Es waren zwar keine so ungewöhnlichen Passagiere wie die Affen von einst, sondern in erster Linie Wasserbewohner. Aber dafür waren es viele: Die Forscher fanden mindestens 289 Arten, die die Reise lebend überstanden hatten – und zwar noch bis zu sechs Jahre nach dem Tsunami. Darunter waren Fische, Muscheln, Schnecken, Würmer, Krebse und Algen. Und nicht wenige der reisenden Populationen hatten sich unterwegs vermehrt.

Mögliche Dauergäste

Die Funde belegten, wie widerstandsfähig einige Arten seien, sagt John Chapman, einer der beteiligten Wissenschafter von der Oregon State University. "Als wir das erste Mal Arten aus Japan sahen, waren wir geschockt. Wir hätten nie gedacht, dass sie so lange leben, unter diesen rauen Bedingungen."

John Chapman untersucht ein dicht bewachsenes Stück Treibgut aus Japan, das im US-Bundesstaat Washington gelandet ist.
Foto: Russ Lewis

Ob einige Arten sich in der neuen Heimat bereits dauerhaft angesiedelt haben, ist derzeit noch unklar. "Es würde mich nicht wundern", sagt Chapman. "Ehrlich gesagt würde es mich überraschen, wenn sie es nicht getan haben." Es könne allerdings Jahre oder Jahrzehnte dauern, eine Ansiedlung fremder Arten tatsächlich nachzuweisen.

Plastik übertrifft Holz

Die Forscher rechnen damit, dass solche Seereisen auf Plastikteilen in Zukunft häufiger vorkommen werden. Bis zu zehn Millionen Tonnen Plastikmüll gelangten jährlich in die Weltmeere – und die Menge werde in den kommenden Jahren wohl noch steigen. Das schaffe eine ganz neue Art der Artenverbreitung, zumal angesichts des Klimawandels häufigere und stärkere Stürme zu erwarten seien.

Holzbruchstücke aus Japan fanden die Forscher bei ihren Analysen nur bis zum Jahr 2014, danach ging der Anteil rapide zurück. Holz zersetzt sich auf dem Ozean, wird von Schiffswürmern zerstört oder sinkt zu Boden. Mit Plastik hingegen hat der Mensch etwas wahrlich Dauerhaftes geschaffen. (APA, red, 29. 9. 2017)