Arnon Grünberg ist "Der Ersatzvater".

Kollage: Armin Karner

Vor dem Elternabend wird mit der ganzen Familie im See geschwommen. Ich schwimme kurz selbst und versuche dann das Baby vor einem Tod durch Ertrinken zu retten.

"Passieren kann immer was", sagt die Mutter. "Das gehört zu den Risiken des autonomen Lebens."

Wir werden mit Polizisten konfrontiert, die mit einem Seil um die Schultern durch den See rennen, in der Nähe befindet sich eine Polizeischule. Ein Trainer schreit: "Nicht aufgeben!"

"Ich darf gar nicht daran denken, so behandelt zu werden", sagt Marjolein.

Danach legen wir uns auf Handtücher. Es gibt Reiswaffeln. Immer Reiswaffeln.

"An diesem See habe ich den gesamten Sommer verbracht", erzählt Marjolein. "Na ja, es hat auch geregnet."

Ist das eine klagende oder eine wehmütige Bemerkung? Marjolein ist schwierig zu ergründen.

Die Mutter ist eine Zuckerfaschistin

Auf dem Rückweg biete ich den Kindern Eis an. Marjolein besteht auf Birneneis. "Das geht so gerade eben", sagt sie.

Die Kinder dürfen fast alles, außer Zucker. Sogar frisch gepresster Orangensaft, auf den meine Mutter schwor, ist verboten. Marjolein ist eine Zuckerfaschistin, allerdings die liebste und warmherzigste Zuckerfaschistin, die ich jemals kennengelernt habe. Und ihrer Meinung nach ist der Vater der Kinder noch mehr gegen Zucker als sie.

Abends kommen wir fast zu spät zum Elternabend des Waldorfkindergartens.

Wir fangen an mit Gesang. Anschließend müssen alle erzählen, was für Eltern sie sind und was sie beruflich machen. Eine Mutter sagt, sie sei früher Perfektionistin gewesen. Eine andere Mutter, die als Betreuerin in einem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein. "Mein Mann pflegt Bäume und ich Menschen", bringt sie noch flüsternd heraus. Dann kann sie sich nicht mehr halten. Die Erzieherin sieht sich den Lachkrampf kurz an und erteilt dann dem nächsten Elternteil das Wort.

Ich habe eine schlechte Figur gemacht

An einem Elternabend sind alle Eltern Kinder.

Ich erzähle von meinem Patenkind.

"Grenzen setzen ist ziemlich langweilig", sage ich. "Darum habe ich die Neigung, Erziehung zu ironisieren. Die Folge allerdings ist, dass ich meine Autorität untergrabe."

Ich bin aufrichtig, glaube aber, man versteht mich nicht so ganz.

Auf dem Rückweg schreit Marjolein in den Wind: "Du hast gestottert und mich Marije genannt!"

"Ja!", brülle ich zurück. "Ich hab eine schlechte Figur gemacht. Ich weiß den Namen meiner Frau nicht."

Wie man es auch dreht und wendet, Marjolein und ich spielen Mutter und Vater, und das sollte man richtig machen.

Zu Hause schreibe ich im Arbeitszimmer des echten Vaters. Heimlich esse ich Gummibärchen.

Fortsetzung folgt morgen.

(Arnon Grünberg, 28.9.2017)