Seltene Gäste im Seebachtal: Steinböcke.

Markus Lackner/Nationalpark Hohe Tauern

Mallnitz – Gäbe es einen Wettbewerb um das schönste Tal Österreichs, hätte das Seebachtal bei Mallnitz in Kärnten große Chancen auf einen Stockerlplatz. Das auf etwa 1.300 Metern gelegene Hochgebirgstal könnte ohne weiteres als eine etwas kleinere und alpine Ausgabe des Yosemite Valley in Kalifornien durchgehen.

Durch sattgrüne Almwiesen mäandert freilich ein Bach, dessen Bett mit feinstem Sand gefüllt ist und in dem kristallklares Wasser fließt. Der kleine Stappitzer See, der etwas abseits vom Bach liegt, gilt als Vogelparadies. Links und rechts ragen hohe, steile Bergwände empor, über die immer wieder Wasserfälle herabstürzen. Und ganz am Ende des Tals sieht man in der Ferne die Ankogelgruppe mit ihren vom Septemberschnee bedeckten Dreitausendern: Natur pur, wie sie schöner kaum sein kann.

Wasserfälle aller Art säumen das schmucke Trogtal.

Es gibt aber zumindest noch eine weitere Parallele zum Yosemite Valley, und zwar eine historische Pionierrolle: Das Tal in der Sierra Nevada wurde bereits im Jahr 1864 zum ersten Naturschutzgebiet der USA erklärt. Das Seebachtal wiederum war ab der Gründung des Nationalparks Hohe Tauern Teil dieses Naturschutzgebiets, bei dem Kärnten 1981 den Anfang machte, noch vor Osttirol und Salzburg.

Probleme bei der Gründung

Die Elektrizitätswirtschaft hatte für das Kärntner Naturjuwel ursprünglich allerdings andere Pläne: eine riesige Staumauer, die zum Glück verhindert werden konnte. Doch das war nicht das einzige Problem bei der Gründung des Nationalparks: Zum einen stehen in Kärnten 98 Prozent der Fläche des Nationalparks im Eigentum von Privatpersonen oder Vereinen, und sie muss von diesen gepachtet werden.

Zum anderen waren viele dieser Flächen Jagdgebiete – so auch das hintere Seebachtal, wo man dann auch bald in die sehr viel weniger besuchte Kernzone des Nationalparks vordringt. Jagdrecht ist aber ein eigentumsgleiches Recht, wie Peter Rupitsch erklärt, Direktor des Nationalparks Hohe Tauern Kärnten. Dementsprechend müssen die Besitzer der Flächen zustimmen, dass dort nicht mehr gejagt wird. Und genau das war auch die Forderung der Weltnaturschutzunion IUCN, die für die Akkreditierung von Nationalparks zuständig ist und 1986 eine Evaluierung vornahm.

Auf dem Weg in die Kernzone des Nationalparks mit Peter Rupitsch (Mitte), Direktor des Nationalparks Hohe Tauern Kärnten, Klaus Eisank (links), ebenda Wildtiermanager, und Wolf Schröder, Professor für Wildbiologie und Wildtiermanagement an der TU München.

Was also tun angesichts dieses schier unlösbaren Dilemmas zwischen Jagdrecht und Naturschutz? Eine Reihe von Zufällen war nötig, um das Unmögliche möglich zu machen, erzählt Rupitsch auf der Wanderung durch das ehemalige Jagdgebiet. Denn wie schon der US-amerikanische Ökologiepionier Aldo Leopold wusste: "Wildtiere zu managen ist nicht schwierig. Das Problem ist das Management der Menschen."

Nur schauen, nicht schießen: Wildtierbeobachtung im Seebachtal.
Foto: Klaus Eisank/Nationalpark Hohe Tauern

In einem ersten Schritt gelang es den Kärntnern, dass die Naturschutzorganisation WWF im Dezember 1990 die Pacht des Gebiets für zehn Jahre erhielt, was auch deshalb möglich war, weil der damalige WWF-Präsident den Jagdschein hatte.

Brückenbauer zwischen getrennten Welten

Dass die beiden getrennten Welten – jene der Jagd und jene des Naturschutzes – tatsächlich langsam ins Gespräch kamen, lag dann an zwei weiteren personellen Glücksfällen: an Klaus Eisank und Wolf Schröder, die ebenfalls bei der Erkundung des naturbelassenen Teils des Seebachtals mit dabei sind, wo das gepflegte Naturschöne von unten der Wildnis gewichen ist.

Eisank und Schröder hatten nicht nur Erfahrungen als Wildtiermanager, sondern auch mit der Jagd: Eisank vor allem als Praktiker, während der gebürtige Steirer Schröder Professor für Wildbiologie und Wildtiermanagement an der TU München sowie international anerkannter Nationalparkexperte ist. Ihre langjährige Vermittlungsarbeit gipfelte in einem Übereinkommen zwischen der Jägerschaft und dem Nationalpark im Jahr 2000, das unter anderem eine konsequente Reduktion der Abschüsse (ursprünglich 40 Gämsen pro Jahr) vorsieht, die noch dazu unter strikt geregelten Bedingungen erfolgen.

Bereits ein Jahr später erfolgte dann die Belohnung durch die IUCN und die Akkreditierung als echter (Kategorie-II-)Nationalpark.

Vom Nationalparkeffekt ...

"Wenn die Jagd dem Wildtiermanagement weicht, führt das bei den Tieren zum sogenannten Nationalparkeffekt", erklärt Wolf Schröder am Zielpunkt der Wanderung schon recht tief im hinteren Seebachtal. "Das bedeutet zum einen, das die Tiere sich vor allem in dem geschützten Gebiet aufhalten. Zum anderen, ist das Wild dort weniger scheu und zeigt sich auch tagsüber, weil es sich sicher fühlt." Wie zum Beweis hat Ranger und Wildhüter Walter Pucher mit dem Fernglas auch schon vier Stück Rotwild ausgemacht, die in rund 600 Metern Entfernung ungestört äsen.

Rotwild im hinteren Seebachtal.
Foto: Walter Pucher/Nationalpark Hohe Tauern

Der Besucher aus der Stadt freut sich über den beeindruckenden Anblick und fragt, ob womöglich die Chance bestünde, in der Gegend auch Steinböcke zu sehen, die im Nationalpark Hohe Tauern wiederangesiedelt wurden. Für Steinwild sei die Gegend nicht so günstig, weiß Schröder: "Die bevorzugen südliche und südwestliche Hanglagen, die felsig sind."

... zum Vorführeffekt

Kaum hat der international führende Steinwildfachmann diese Worte gesprochen, meldet sich wieder Wildhüter Walter Pucher leise. Er hat links im Abhang den hinter einem Felsen hervorlugenden Kopf von einem Steinbockkitz entdeckt, wenig später zeigt sich auch dessen Mutter. Das nennt man dann wohl den umgekehrten Vorführeffekt. (Klaus Taschwer, 28.9.2017)

Blick auf die Besucher: die Steinbockgeiß mit ihrem verdeckten Kitz, fotografiert durch das Okular des Spektivs.
Foto: Klaus Taschwer