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Die deutsche Bundeskanzlerin ist sichtlich angeschlagen nach dieser Bundestagswahl. Vom vergleichsweise ruhigen Regieren in der großen Koalition, wird es unter den neuen Vorzeichen deutlich schwieriger werden für sie.

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Deutschland hat gewählt, und es kam, anders als erwartet, für deutsche Verhältnisse ein ziemlich chaotisches Ergebnis heraus. Die beiden großen Parteien CDU/CSU und Sozialdemokraten, in den vergangenen vier Jahren in einer großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel verbunden, wurden mit dramatischen Verlusten abgestraft.

Schlechte Ergebnisse ...

CDU/CSU, die beiden Parteien der Kanzlerin, fuhren das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein (nur 1949, bei der ersten Bundestagswahl, war es noch schlechter). Die CSU, die bayrische Schwester der CDU, erhielt das schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte, und deren Ergebnis ist angesichts des cholerischen Charakters der Bayern im Binnengefüge der Unionsparteien besonders wichtig, zumal im nächsten Jahr in Bayern Landtagswahlen sind.

Die Sozialdemokraten erhielten das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik seit 1949! Ein Erdrutsch also zulasten der Parteien der großen Koalition. Und eine Katastrophe für Angela Merkel, weil die Wahl auch im hohen Maße eine Protestwahl gegen sie war. So sehr die Kanzlerin im Ausland als Staatsfrau, Stabilitätsgarant und moralische Instanz geschätzt wird, so wenig gilt das noch in der deutschen Innenpolitik.

... und große Fehler

Was hat Angela Merkel falsch gemacht? Ihr größter Fehler war, dass sie glaubte, dass ihre defensive Wahlkampfstrategie, die ihr in den beiden letzten Wahlkämpfen glanzvolle Siege gebracht hatte, das Demobilisieren, Entpolitisieren und Schweigen zu den polarisierenden großen Zukunftsthemen wie Europa, dass diese Rechnung noch einmal aufgehen würde!

Dies war eine Fehlkalkulation, denn die Flüchtlingskrise und die Alternative für Deutschland (AfD) als politisches Ventil der durch sie aufgewühlten Emotionen ließen diesmal eine solche Demobilisierungsstrategie scheitern.

Nicht die Flüchtlinge waren das Problem, sondern das Schweigen der Kanzlerin dazu, ihre fehlende Erklärung. Was kommt auf uns zu? Warum? Wer sind wir, und wohin gehen wir? Auf diese einfachen Fragen gab es keine zureichende Antworten von der Kanzlerin. Stattdessen wurde das Schweigen durch den Nationalpopulismus und die völkische Vergangenheitsseligkeit der AfD und ihres Anführers Alexander Gauland ausgefüllt.

Neue Nazis

Die großen Gewinner sind die neuen Nazis von der AfD, und es ist eine Schande für unser Land! Nach 72 Jahren sind sie also wieder zurück in einem nationalen deutschen Parlament und wurden gleich mit mehr als 13 Prozent der Stimmen zur drittstärksten Kraft gewählt. In Ostdeutschland wurden die neuen Nazis sogar zur zweitstärksten Partei!

Deutschland hat sich damit in den bereits länger anhaltenden europäischen Trend rechtspopulistischer bis rechtsextremer Wahlsiege eingereiht, nur mit dem kleinen und gleichwohl feinen Unterschied, dass es eben Deutschland mit seiner recht eigenen Geschichte ist, was die Differenz ausmacht.

Allerdings sei hier auch eines klar gesagt: Die Rechten werden die Stabilität der deutschen Demokratie nicht gefährden können, wenn sich die demokratischen Parteien bei der Mehrheitsbildung ihrer Verantwortung bewusst sind.

Angela Merkel wird wohl Kanzlerin bleiben, auch wenn die Debatte in der Union in den kommenden Tagen erst beginnen wird und angesichts der dramatischen Verluste für die Partei von über acht Prozent durchaus auch die Messer gewetzt, wohl aber nicht gezogen werden.

Angela Merkel hat Glück, dass es zu ihr keine überzeugende und populäre Alternative in den Unionsparteien gibt, sodass sich diese Messer, zumindest auf kurze Sicht, als Gummidolche erweisen werden. Man stürzt keine Kanzlerin, ohne nicht von Anfang an über eine überzeugende Personalalternative zu verfügen, und diese ist in der Union nicht zu sehen.

Es war eine bizarre Wahlnacht in Deutschland. Noch nie wurde mit so viel Leidenschaft im Fernsehen durch die Spitzen demokratischer Parteien für den Gang in die Opposition geworben. Vorneweg die Sozialdemokraten, gefolgt von den Liberalen, als wenn der Mitgliedschaft in der Bundesregierung ein böser Fluch anhaften würde. Diese Haltung zeigt aber lediglich das Ausmaß des Chaos, das diese Bundestagswahl mit sich gebracht hat.

Die Mehrheitsbildung im nächsten Deutschen Bundestag wird schwierig werden und sich länger hinziehen. Allein das ist schon eine höchst ungewöhnliche Erfahrung für Deutschland. Denn nach der klaren Absage der Sozialdemokraten zur Fortsetzung einer großen Koalition bleibt rein rechnerisch nur ein sogenanntes Jamaikabündnis aus der CDU, der CSU, den Liberalen und den Grünen übrig.

Schwieriges Unterfangen

Das wird ein schwieriges Unterfangen, weniger wegen der notwendigen Kompromisse in der Sachpolitik, als vielmehr wegen der Psychologie der Parteien und ihrer Führungsfiguren. Zudem wird der innenpolitische Kalender die Koalitionsgespräche in die Länge ziehen, zusammen mit der Angst der Parteiführungen vor ihrer Basis. Daher werden wir einen Tanz der Kraniche auf rohen Eiern erleben, der ebenfalls sehr viel Zeit kosten wird. Vor den Landtagswahlen in Niedersachen am 15. Oktober 2017 wird sich nicht wirklich etwas tun, und auch danach wird sich die Regierungsbildung hinziehen.

Minderheitsregierung

Die Alternative zu einer Jamaikakoalition wäre eine Minderheitsregierung der Unionsparteien und/oder Neuwahlen im Frühjahr. Beides wäre für Deutschland als europäischen Stabilitätsanker ein Unglück, und beides darf es im Interesse des Landes und Europas eigentlich nicht geben.

Denn bei Neuwahlen drohten die neuen Nazis noch stärker zu werden, und sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bildung einer stabilen Regierungsmehrheit nicht gelingen, so wäre es wohl um sie geschehen, das heißt, das Chaos würde dann noch zunehmen. Man kann eine solche Entwicklung Deutschland nicht wünschen.

Die Zukunft der deutschen Demokratie hängt nach diesem chaotischen Wahlergebnis also ganz wesentlich von der Vernunft, der Kompromissfähigkeit und dem Verantwortungsgefühl der drei kleinen Parteien einer möglichen Jamaikakoalition von Freien Demokraten, Grünen und CSU ab. Ob sie die Kraft haben, sich aufeinander zuzubewegen und die notwendigen inhaltlichen Kompromisse zu finden – und ob sie klug genug sind, ehrlich zusammenzuarbeiten, anstatt zu versuchen, sich gegeneinander auszuspielen. Sicherheit, Marktwirtschaft und ökologische und digitale Modernisierung könnten die Grundlagen einer solchen Koalition lauten. (Joschka Fischer, Copyright: Project Syndicate, 26.9.2017)