Nur wenige der Alltagsobjekte sind so prunkvoll wie die Figur der Schutzgottheit Vajrapani.

Foto: P. Schimweg/Museum für Völkerkunde Hamburg

Tsam-Tanzfigur vom Anfang des 20. Jahrhunderts.

Foto: P. Schimweg / Museum für Völkerkunde Hamburg

Wien – Die Mongolei im Jänner 1937: Der buddhistische Abt Danzan steht kurz vor seiner Verhaftung durch die kommunistischen Machthaber. Zuvor steckt der Mönch seinem Schwager eine Schriftrolle aus Leder zu: Die Abschrift einer heiligen Schrift soll vor ihrer Zerstörung bewahrt werden. Der Text wird gerettet, Danzan aber entkommt dem Gefängnis: Mithilfe seiner spirituellen Kraft habe er seinen Körper verlassen, bevor die sozialistischen Häscher ihn erwischen konnten – so behauptet es zumindest einer seiner nachgeborenen Verwandten.

Das sind Geschichten, die Maria-Katharina Lang immer wieder hört. Die Forscherin vom Institut für Sozialanthropologie der Akademie der Wissenschaften untersucht buddhistische Artefakte der mongolischen Kultur – zuletzt hat der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF Langs Forschungsprojekt am Weltmuseum Wien gefördert. Die Sozialanthropologin fasziniert, wie diese Gegenstände die zahlreichen kulturellen Einflüsse des Transitraums Mongolei widerspiegeln: "Die mongolische Kultur charakterisiert, dass sie kein fixierter geschlossener Raum ist, sondern zum Beispiel durch die Seidenstraße von vielen Seiten beeinflusst wurde."

So besitzen einzelne Schmuckstücke Ornamente, die gleichzeitig auf einen tibetischen oder chinesischen Ursprung schließen lassen. Dabei betrachtet Lang diese Schmuck- und Schriftstücke oder religiösen Darstellungen nicht bloß als leblose Gegenstände, sondern interessiert sich dafür, welche soziale Rolle sie im Land spielen. "Es geht mir darum, anhand der materiellen Kultur, die diese Objekte repräsentieren, Erinnerungen zu erforschen und zu dokumentieren."

Feldstudien und Befragungen

Dazu führt die Forscherin regelmäßig vor Ort in Zusammenarbeit mit mongolischen Wissenschaftern Feldstudien durch, um die Einwohner des Landes über die Funktionen solcher Artefakte zu befragen. Die Objekte, die Lang in erster Linie untersucht, befinden sich aber nicht in Asien, sondern in Wien: Die Sozialanthropologin stützt sich vor allem auf die Sammlung des österreichischen Forschungsreisenden Hans Leder. Dieser Insektenforscher bereiste die Mongolei zwischen 1882 und 1905 mehrfach und kehrte insgesamt mit über 4000 Artefakten zurück. Am Ende seines Lebens sah er sich aus Geldsorgen gezwungen, die Sammlung zu verkaufen, weshalb die Funde über verschiedene Museen verstreut sind. Mit 811 Objekten besitzt das Weltmuseum Wien einen Großteil von Leders Konkursmasse.

Lang stieß bereits 1995 während ihrer Diplomarbeit auf diese Sammlung, die damals noch ein reichlich ungewürdigtes Dasein im Depot fristete. Verstaubt seien diese Artefakte dort so lange, weil sich ihr Schauwert auf den ersten Blick in Grenzen hält: Hierbei handelt es sich meist um wenig prunkvolle Alltagsgegenstände.

Da diese Objekte lange Zeit nur durch die westliche Kuratorenbrille betrachtet wurden, gerieten ihre Funktionen ohnehin in Vergessenheit. "Die Artefakte sind häufig auf mehr oder weniger seltsame Weise in europäische Museen gelangt und haben viel von der Verbindung zu ihrem Herkunftsort verloren", sagt Lang. "Deshalb ist es wichtig, nicht bloß ihre Geschichte als Museumsobjekt zu untersuchen, sondern sie mit der kulturellen Praxis ihrer Heimat in Beziehung zu setzen."

Verfolgte Buddhisten

Im Zusammenspiel mit den Berichten der Einwohner legen diese teilweise sehr alten Artefakte aber auch Zeugnis von der wechselvollen Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert ab. Denn spätestens in den 1930er-Jahren werden die buddhistische Religion und mit ihr ihre Riten und Kultgegenstände gewaltsam aus dem mongolischen Alltag verdrängt.

1924 war das Land ein Satellitenstaat der Sowjetunion geworden – der Staatspräsident Peldschidiin Genden, ein gemäßigter Kommunist, stellte sich gegen die Verfolgung buddhistischer Mönche. Er wurde jedoch 1936 auf Stalins Geheiß entmachtet und exekutiert. Spätestens jetzt war der Atheismus marxistischer Prägung endgültig die offizielle Staatsreligion, und der Buddhismus wurde als eine die Volksrepublik bedrohende Gegenkultur bekämpft: Vertreter des Klerus wurden ermordet, Kultstätten abgerissen und religiöse Objekte beschlagnahmt. Nur einige wenige Tempel überstanden diese Zerstörungswelle: Sie wurden in Museen umgewandelt, in denen Buddhismus und Aristokratie als rückständig und der Vergangenheit angehörig präsentiert wurden. Erst nach der politischen Wende in der Mongolei 1990 begann man Teile dieser Tempel wieder religiös zu nutzen.

Dass so schnell an die buddhistischen Traditionen angeknüpft wurde, lag daran, dass die kommunistische Führung, so sehr sie sich auch bemühte, die Religion nie ganz aus dem Alltag vertreiben konnte. Wenn man sich sicher wähnte, holten viele ihre Kultgegenstände hervor, um die Riten im Verborgenen zu praktizieren: Hinter mancher Wand, an der ein Porträt von Lenin hing, versteckte sich eigentlich ein Sutra-Text.

Nach drei Jahren Umbau wird das Weltmuseum Wien am 25. Oktober wiedereröffnet. (Johannes Lau, 1.10.2017)