Sebastian Kurz hat gute Chancen, seine erneuerte Volkspartei zu einem Wahlsieg zu führen – aber er weiß auch genau, dass Siegesgewissheit der ÖVP schon mehrfach dazu geführt hat, dass dann doch ein wahlentscheidender Teil der eigentlich konservativen Wählerschaft letztlich anders (oder gar nicht) gewählt hat. Das war 1970 so, 1986 auch, und die Abwahl von Wolfgang Schüssel 2006 ist vielen in der ÖVP noch in böser Erinnerung.

Ähnliche Enttäuschungen will Kurz heuer nicht riskieren – entsprechend redete er seinen Fans in der vollbesetzten Stadthalle ins Gewissen: Sie dürften keinesfalls allzu siegesgewiss werden, keinesfalls müde werden, der Gegenpropaganda, die einen konservativen Kanzler verhindern will, entgegenzutreten. Streiten. Eben: wahlkämpfen.

Dabei hat Kurz gleich selbst die Widerstände aus anderen Parteien angefacht: Er hat einen überraschend starken Führungsanspruch gestellt, indem er für den nächsten Kanzler (gehofftermaßen: sich selbst) eine Richtlinienkompetenz gefordert hat, wie sie etwa in Deutschland mit der Kanzlerschaft verbunden ist. Wer sich mit der Verfassungslage befasst hat, weiß, dass dieses Instrument kaum angewendet wird – aber einen dicken Knüppel in der Hand zu haben und dabei freundlich zu reden ist ein verlässliches Führungsinstrument. Kurz scheut sich nicht, das Wort "Führung" zu verwenden – die Beißreflexe seiner Gegner werden dadurch verlässlich ausgelöst. Streit tut gut. (Conrad Seidl, 24.9.2017)