Spanische und katalanische Polizisten vor dem Wirtschaftsministerium der Regionalregierung in Barcelona.

Foto: APA/AFP/JOSEP LAGO

In den Straßen Barcelonas kam es in den Morgenstunden zu Protesten. Kundgebungen zur Unterstützung der katalanischen Regierung fanden etwa vor deren Sitz ...

Foto: APA / AFP / Josep Lago

Bild nicht mehr verfügbar.

... und vor dem Wirtschaftsministerium statt.

Foto: Reuters / Albert Gea

Diese wuchsen im Laufe des Vormittags weiter an.

Foto: APA / AFP / Lluis Gene

Politiker riefen zur Gewaltlosigkeit auf. Demonstranten vor dem Wirtschaftsministerium hielten der Polizei Blumen entgegen.

Foto: APA / AFP / Lluis Gene

Barcelona/Madrid – Die spanische Polizei hat Mittwochfrüh mehrere Büros der katalanischen Regionalregierung in Barcelona durchsucht. Polizisten der Guardia Civil hätten die Büros der Abteilungen für Wirtschaft, Außenpolitik, Soziales und Telekommunikation sowie des Regierungschefs durchsucht, sagte ein Sprecher der katalanischen Behörden.

Dabei wurde Josep Maria Jové, Staatssekretär und enger Mitarbeiter von Kataloniens Vizeregierungschef, Wirtschafts- und Finanzminister Oriol Junqueras, festgenommen. Zudem wurden "El País" zufolge 15 weitere Personen festgenommen, darunter laut der katalanischen Zeitung "El Periódico" mindestens neun Mitarbeiter der Regierung. Ihnen wirft Madrid vor, sich an den Vorbereitungen für das Abspaltungsreferendum am 1. Oktober beteiligt zu haben, das Barcelona abhalten will, die Zentralregierung aber als illegal betrachtet. Den Festgenommenen werden auch Veruntreuung öffentlicher Gelder, Widerstand gegen das Verfassungsgericht und Geheimnisverrat vorgeworfen.

Regierungschef: "Aggression ohne rechtliche Grundlage"

Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont warf der spanischen Regierung in einer "institutionellen Regierung" zu Mittag eine "Aggression ohne rechtliche Grundlage" vor. Madrid habe "die katalanische Autonomieregierung de facto aufgelöst und einen Ausnahmezustand geschaffen". Die Freiheit sei aufgehoben. Die Aktionen der Polizei in den vergangenen Tagen – Eingriffe in die Regierung, Festnahme ohne Anklage, Eingriffe in private Wohnsitze und das Postgeheimnis – hätten eine in einer Demokratie inakzeptable Situation geschaffen.

Die Erklärung von Regierungschef Carles Puigdemont.
Diari ARA

Seine Regierung verurteile die "totalitäre Haltung" des Kabinetts in Madrid, die eine rote Linie überschritten habe. Die Katalanen müssten "mit den einzigen Waffen antworten, die wir haben: den friedlichen und demokratischen der Bürger". Man werde das Recht auf freie Abstimmung verteidigen. "Wir werden keine Rückkehr in vergangene Zeiten akzeptieren, und auch nicht, dass wir über die künftigen nicht selbst entscheiden dürfen."

Am Nachmittag gab es eine neuerliche Razzia. Polizisten drangen nach Angaben der linksnationalistischen CUP in die Räumlichkeiten der Partei ein.

Der Chef der katalanischen Nationalversammlung, Jordi Sánchez, rief via Twitter zu Widerstand gegen die Polizeiaktionen auf. "Der Augenblick ist gekommen. Leistet friedlich Widerstand! Geht hinaus und verteidigt mit gewaltlosen Mitteln unsere Institutionen!", schrieb er. Er nannte auch mehrere Orte in der Innenstadt von Barcelona, an denen Kundgebungen stattfinden sollten. Auch Abgeordnete anderer Parteien im katalanischen Parlament sowie Gewerkschaften riefen zu Demonstrationen auf.

Tatsächlich fanden sich bereits in den Morgenstunden Demonstranten auf Barcelonas Straßen und vor dem Wirtschaftsministerium an der zentralen Flaniermeile La Rambla ein, die Behörden sprachen zu Mittag dann von rund 4000 Menschen. Sie riefen "Wir haben keine Angst!", "Sie werden damit nicht durchkommen!" und "Wir werden abstimmen!". Weitere Demonstranten versuchten offenbar zentrale Straßen zu blockieren, sie waren auch zu Mittag noch für den Verkehr unbenützbar. Die Stadtregierung empfahl, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.

Demonstration vor dem katalanischen Ministerium für äußere Angelegenheiten, wo ebenfalls Razzien stattfanden.

Die Zentralregierung betrachtet die geplante Abstimmung über die Zukunft der wohlhabenden Region und ihrer rund 7,5 Millionen Einwohner als illegal und verfassungswidrig, auch weil Spaniens Verfassung aus dem Jahr 1978 das Land als "unteilbar" beschreibt. Sie versucht auf allen Wegen das Unabhängigkeitsreferendum zu verhindern. Die Generalstaatsanwaltschaft hat deshalb unter anderem Ermittlungen gegen mehr als 700 katalanische Bürgermeister eingeleitet, die das Referendum unterstützen.

Die spanischen Behörden hatten die Polizei zuvor bereits aufgefordert, Ermittlungen bei Werbemaßnahmen für das Referendum einzuleiten. Bei einer Polizeirazzia in einer Lagerhalle in der Provinz von Barcelona beschlagnahmten Beamte über das Wochenende hinweg etwa 1,3 Millionen Flugblätter sowie anderes Werbematerial, das die Volksbefragung unterstützt.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Spaniens Finanzminister Cristóbal Montoro den katalanischen Haushalt unter strengere Kontrolle gestellt, um zu verhindern, dass öffentliche Gelder zur Vorbereitung der Volksbefragung verwendet werden.

Millionen Wahlzettel beschlagnahmt

Bei einer Durchsuchung am Montagabend wurden offenbar neun bis zehn Millionen Wahlzettel, Briefkuverts und Boxen gefunden, von denen die spanischen Behörden annehmen, dass sie für die Abstimmung gedacht waren. Entsprechende Meldungen spanischer Zeitungen bestätigte das Innenministerium am Abend.

Bei der Razzia im privaten Postunternehmen Unipost in Terrassa kam es sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen der Polizei und hunderten Unabhängigkeitsbefürwortern, die die Beamten an der Beschlagnahmung der Briefe hindern wollten.

Wegen der aufgeheizten Situation hat das spanische Innenministerium der Guardia Civil und der regulären Polizei am Mittwoch Urlaubssperren bis zur geplanten Abstimmung am 1. Oktober erteilt. Auch schon erteilte Genehmigungen sollen demnach wieder zurückgezogen werden.

Auch im Rest Spaniens gibt es Kritik an der Haltung der konservativen Zentralregierung. Der Gründer der linken Sammelpartei Unidos Podemos, Pablo Iglesias, bezeichnete die Festgenommenen als "politische Häftlinge". Auch er rief dazu auf, gegen die Polizeiaktionen zu demonstrieren. Premier Mariano Rajoy rief die Spitzenvertreter der anderen Parteien – der antiseparatistischen Ciudadanos und der Sozialdemokraten, die seine Regierung durch Enthaltung ermöglicht hatten – zu einem Gipfeltreffen in Madrid.

Umfragen uneindeutig

Wie die Abstimmung, sollte sie ungehindert ablaufen, angesichts der aktuellen Stimmung ausgehen würde, ist äußerst ungewiss. Spanische Medien verweisen häufig auf einzelne Umfragen aus den vergangenen Monaten, die eine Mehrheit gegen die Abspaltung sehen. Auch eine Umfrage der katalanischen Regierung vom Juli scheint das zu bestätigen. Allerdings gibt es auch zahlreiche Befragungen mit gegenteiligem Ergebnis. Abhängig scheint das von den sehr unterschiedlichen Erwartungen an die Wahlbeteiligung zu sein. Vor allem unter jenen, die sich bereits sicher sind, zur Abstimmung gehen zu wollen, spricht sich eine deutliche Mehrheit für die Abspaltung von Spanien aus. Alle Umfrage zeigen allerdings grundsätzlich eine klare Zustimmung zu der Abhaltung eines Referendums. (APA, red, Reuters, 20.9.2017)