Nach tödlichen Fällen wie dem Mord an einer 14-Jährigen in Wien-Favoriten stellt sich die Frage, wie Frauen und Kinder besser gegen Gewalt geschützt werden können.

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Wien – Die jüngsten Fälle häuslicher Gewalt und Tötungsdelikte werfen die Frage auf, ob es im Gewaltschutzgesetz Verbesserungen braucht. Sollen etwa Gefährder, die von zu Hause weggewiesen wurden, schneller in U-Haft kommen?

Ja, meint Christian Scambor vom Grazer Verein für Männer- und Geschlechterthemen (vulgo Männerberatung): "Wenn sich eine Gefährdungssituation verdichtet, sollte man Männer auch in U-Haft nehmen können." Immerhin gebe es drei Gründe für die U-Haft: Verdunkelungs-, Flucht- und Tatbegehungsgefahr – letztere bestehe oft, so der Psychologe.

Ja, sagt auch Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, die bei Betretungsverboten und Wegweisungen wegen häuslicher Gewalt mit betroffenen Frauen und Kindern arbeitet. Derzeit würden Täter selbst bei Verdacht auf massive Delikte – etwa schwere Körperverletzung, schwere Nötigung und fortgesetzte Gewaltausübung – meist auf freiem Fuß angezeigt. Oft mit dem Argument, "es gibt ja ein Betretungsverbot".

Festnahmen in 110 Fällen

Laut Tätigkeitsbericht der Wiener Interventionsstelle für 2016 kam es in diesem Jahr in Wien in 1.830 Fällen häuslicher Gewalt neben einem Betretungsverbot wegen schwerer Delikte auch zu Anzeigen. Festnahmeaufträge gab es in 110 Fällen. "Festnahmeaufträge werden in derlei Fällen mit der entscheidungsbefugten Staatsanwaltschaft telefonisch besprochen. Meist hat die Staatsanwaltschaft von der Polizei da noch nicht alle Unterlagen. Das ist unzureichend", sagt Logar. Polizei und Justiz müssten "enger und schneller zusammenarbeiten".

Ministerium: Schon über Schnitt

In Fällen häuslicher Gewalt werde schon jetzt öfter U-Haft ausgesprochen als im Schnitt aller Fälle, erwidert Christian Pilnacek, Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium. Bei jährlich in Österreich insgesamt rund 200.000 Anzeigen wegen Delikten bei einem Strafrahmen von über einem Jahr komme es "in 1.000 bis 1.500 Fällen" zu U-Haft. Für bessere Kommunikation zwischen Antigewalteinrichtungen, Polizei und Staatsanwaltschaft soll in Fällen häuslicher Gewalt ab Mitte 2018 zudem eine "Handlungsanleitung für Staatsanwaltschaften" sorgen.

Für proaktives Kontaktieren

Eine langjährige Forderung der Männerberatung ist weiters, Gefährder proaktiv kontaktieren zu können. Bisher sei man darauf angewiesen, dass "etwa die Polizei dem Mann rät, uns aufzusuchen, aber wir kommen von selbst aus Datenschutzgründen nicht an ihn heran", sagt Scambor. Nur wenn schon etwas passiert ist, kann die Staatsanwaltschaft zum Aufsuchen einer Beratung drängen oder das Gericht ihn per Verurteilung oder Weisung dazu zwingen.

120 Kinder in Krisenzentren

Im Fall der getöteten Afghanin, in dem der Bruder geständig ist, bewohnte die 14-Jährige – wie derzeit rund 120 Kinder und Jugendliche in Wien – ein Krisenzentrum, das Schutz bieten sollte. Monika Mandl, Sprecherin der MA 11, sagt, dass man nun Abläufe evaluiere. Es sei aber "auch Teil unserer Arbeit, mit dem Risiko leben zu müssen, dass wir nicht immer vor Ort sind und nicht alles voraussehen können". Eine unabhängige, überregionale Forschungsstelle, die ein "intensives Monitoring" über die Einhaltung der Kinderrechte betreibt, fordert zudem Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits.

Der 18-jährige Afghane, der seine Schwester am Montag erstochen und sich der Polizei gestellt hat, gab an, er wollte das Mädchen nur zur Vernunft bringen, nachdem es das Elternhaus verlassen hat.
ORF

Sensibilisierung der Gesundheitsberufe

Oft erfolgt im Gesundheitssystem der Erstkontakt zu Gewaltopfern. Pflegepersonal und Ärzte seien aber oft überfordert oder könnten nicht immer Gewalt als Ursache für Verletzungen erkennen. Künftig sollen betreffende Berufsgruppen in der Ausbildung in Gewalterkennung und im Umgang mit Betroffenen geschult werden. Gesundheits- und Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) präsentierte am Dienstag Lehrmodule, die ab Wintersemester 2019/20 für die Pflege- und Ärzteausbildung angedacht sind. (bri, burg, cms, spri, 19.9.2017)