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Behgjet Pacolli (hier auf einem Archivbild aus dem Jahr 2011) ist als neuer Außenminister des Kosovo nicht unumstritten.

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Pacolli kann nicht unbedingt diplomatische Kenntnisse vorweisen. Aber die Parteien, die an die Regierung wollten, hatten nicht ausreichend Stimmen im Parlament, deshalb sprang der Baumeister und Multiunternehmer als Mehrheitsbeschaffer ein.

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Gegen den neuen Premier Ramush Haradinaj liegt ein serbischer Haftbefehl vor.

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Prishtina/Sarajevo – Sein Clan wartet auf Anweisungen und befolgt diese. Er gibt den Verwandten Arbeit und versorgt die Familie. In dieser Hinsicht ist Behgjet Pacolli ein typischer Albaner. Andererseits hat der 68-Jährige beste Kontakte in Russland und ist steinreich – das wiederum kann man über seine kosovarischen Landsleute kaum sagen. Der Bauunternehmer ist ein Tausendsassa, der sich permanent um alles Mögliche kümmert: Geiseln in Afghanistan befreien, für das Heimatland auf internationaler Bühne lobbyieren und für zentralasiatische Diktatoren Paläste bauen.

Eigentlich hat Pacolli, der zuweilen in einer Villa in der Schweiz residiert, bereits genug Geld und ausreichend Abenteuer hinter sich. Doch seit kurzem ist er nun auch Außenminister des Kosovo. Der Baumeister kann nicht unbedingt diplomatische Kenntnisse vorweisen und ist eher von schlichtem Gemüt – aber die Parteien, die an die Regierung wollten, hatten nicht ausreichend Stimmen im Parlament, und Pacolli, der seit 2007 seine eigene Partei AKR anführt, sprang als Mehrheitsbeschaffer ein.

Es ist nicht seine erste Erfahrung in der kosovarischen Innenpolitik. Der Mann, der auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt, war bereits Vizepremier und im Jahr 2011 sogar Präsident. Nach wenigen Wochen musste er allerdings zurücktreten, weil publik geworden war, wie Parlamentarier von Granden anderer Parteien "angewiesen" worden waren, den reichen Bauherrn zu wählen.

Karrierebeginn in Österreich

Sein Schweizer Firmenimperium Mabetex gründete er 1990. Seine Karriere begann aber in Österreich, wo er in jungen Jahren Ostgeschäfte für österreichische Firmen abwickelte. Aus dieser Zeit hat Pacolli auch gute Kontakte nach Russland. Er arbeitete dann für Schweizer Firmen und wurde erst so richtig reich, als er unter Boris Jelzin in den 1990er-Jahren den Auftrag bekam, den Kreml zu renovieren. Jelzin hängte Pacolli dafür den höchsten staatlichen Orden für Architektur und Kunst um. Doch die Kuppeln des Kremls warfen nicht nur Glanz auf ihn. 1998 leitete der Generalstaatsanwalt Untersuchungen wegen Bestechung gegen die Mabetex ein. Pacolli klagte den Generalstaatsanwalt und gewann das Verfahren – Letzterer musste eine Million Rubel an den Kosovaren bezahlen.

Pacolli ist offensiv und ganz sicher keiner, der sich dafür geniert, Probleme mit Geld zu lösen. Im Gegenteil: Er ist daran gewöhnt, dass damit sehr viel erreicht werden kann. Einige Male setzte er sich in Afghanistan erfolgreich dafür ein, UN-Leute als Geiseln freizubekommen. Auch die italienische Regierung zog ihn in so einem Fall zurate. Ähnlich "robust" geht Pacollli vor, wenn es darum geht, für seine Heimat zu lobbyieren – auch in Afrika. Mittlerweile haben 111 von 193 Staaten den Kosovo, der sich 2008 für unabhängig erklärte, anerkannt.

Autokrat Nasarbajew als Vorbild

Auch die Mabetex ist schon lange nicht mehr nur eine Baufirma, sondern in Bankgeschäften, Versicherungen, Spitalsaufbau und dem Medienbusiness tätig. Besonders groß sind die Aufträge und das Geschäft in Kasachstan. Die Mabetex baute dort den Palast für Präsident Nursultan Nasarbajew. Pacolli und Nasarbajew sind gute Freunde. "Er verkörpert positive Energie, ist konstruktiv und liebt sein Land. Für mich ist er der ideale Politiker. Ich versuche, wie er zu sein", sagt der Bauherr über den Autokraten.

Der bombastische Kitsch, den Pacolli für den Kasachen baute, ähnelt übrigens jenem Baustil, den man auch an der Mutter-Teresa-Straße in Prishtina im Kleinformat betrachten kann. Dort hat Pacolli das Hotel Swiss Diamond hingebaut – das genauso gut in Las Vegas stehen könnte. Seit Wochen munkelt man in der kosovarischen Hauptstadt, dass der "Regierungsdeal" mit Pacolli eine andere Immobilie umfassen soll.

Es geht um das Hotel Grand aus jugoslawischer Zeit, einen vielstöckigen Bau im Stadtzentrum. Pacolli wollte das Hotel schon vor einigen Jahren bei der Privatisierung erwerben – eine der Firmen seines Imperiums strengte sogar ein Schiedsverfahren gegen den Staat Kosovo an, weil es die Ausschreibung nicht gewann. Umso absurder und wohl ein Interessenkonflikt ist, dass Pacolli nun Außenminister wurde. Angesichts der Tatsache, dass das neue Kabinett 21 Ministerien umfasst und die Wirtschaftsagenden zwischen vielen Ressorts zerstreut sind, ist auch nicht damit zu rechnen, dass so entscheidende Investitionen in den Kosovo kommen.

Gute Kontakte zu Russland

Behgjet Pacollis Vermögen wird auf 500 Millionen Euro geschätzt. Er ist Vater von sechs Kindern, drei Söhnen und drei Töchtern, und derzeit mit einer Russin verheiratet. Er spricht sieben Sprachen, unter anderem Russisch, Spanisch, Französisch und Italienisch – und natürlich Deutsch. Nützlich sein könnten die Kontakte nach Russland. Denn in den kommenden Monaten soll der Dialog mit Serbien wiederaufgenommen werden. Offen ist, ob im Zuge dessen auch Russland – das den Kosovo nicht anerkennt und eine UN-Mitgliedschaft im Sicherheitsrat blockiert — seine Position ändern wird. Fraglich ist auch, welche Zugeständnisse Moskau dafür haben wollen könnte.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Teilnahme der Srpska Lista, der größten serbischen Partei im Kosovo, nicht nur von der serbischen Regierung, sondern auch von der russischen Regierungspartei unterstützt wird. Das ist ein Anzeichen dafür, dass auch Russland den Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien, der bis 2019 finalisiert werden soll, unterstützt. Der hemdsärmelige Pacolli dürfte es im Rahmen dieses Dialogs auch leichter mit dem serbischen Gegenüber haben als der Regierungschef selbst. Denn gegen Ramush Haradinaj liegt noch immer ein serbischer Haftbefehl vor.

Foltervorwurf gegen Haradinaj

Normalerweise sind Staats- und Regierungschefs immun, aber da Serbien den Kosovo nicht anerkannt hat, gilt das nicht für Haradinaj. Würde er etwa die Grenze zu Serbien überschreiten, würde er sofort verhaftet werden. Die serbischen Behörden werfen ihm vor, serbische Zivilisten gefoltert und ermordet zu haben. Erst im Jänner wurde Haradinaj aufgrund des serbischen Haftbefehls in Frankreich festgenommen – und erst Wochen später wieder freigelassen.

Haradinaj war eine der führenden Figuren der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK in der Region Dukagjin im Westkosovo. Die USA setzten im Krieg im Jahr 1999 auf ihn, weil er als einer der Warlords galt, die in der Lage waren, für Stabilität zu sorgen. Zwei seiner Brüder, Luan Haradinaj und Shkellzen Haradinaj, wurden von serbischen Einheiten getötet.

Nach dem Krieg kam es zu "Abrechnungen" zwischen der UÇK und der Fark, einer anderen bewaffneten Gruppe. Im Rahmen dieser "Abrechnungen" gab es eine Fehde zwischen der Familie Haradinaj (UÇK) und der Familie Musaj (Fark). Bei einer Schießerei im Rahmen dieser Fehde im Jahr 2000 wurde Ramush Haradinaj verletzt und ins US-Camp Bondsteel ausgeflogen. Seit damals hat er – wegen der Gesichtsverletzung – einen leichten Sprachfehler. In den Jahren nach dem Krieg wurden zahlreiche Fark-Leute ermordet. Darunter auch Sinan Musaj, ein Mitglied des Musaj-Clans. Ramush Haradinajs Bruder Daut wurde 2002 wegen dieses Mordes und dreier weiterer verurteilt.

Morde an Zeugen und Ermittlern

Doch nicht nur Mitglieder der Fark fanden den Tod, sondern auch solche, die bereit waren, als Zeugen in solchen Mordfällen auszusagen. Tahir Zemaj sollte der Hauptzeuge gegen Daut Haradinaj sein. Er und sein Sohn Enis und sein Neffe Hysen wurden im Jänner 2003 allerdings auf offener Straße ermordet. Dann waren jene an der Reihe, die versuchten, den Fall zu untersuchen: Im November 2003 wurden die Polizisten Sebahate Tolaj und Isuf Haklaj auf dem Weg zur Arbeit getötet. Als die AAK von Ramush Haradinaj Teil der Regierung wurde, endeten die Morde. Ramush Haradinaj selbst wurde Premier. Im Jahr 2005 wurde allerdings noch ein weiterer Bruder von Ramush, Enver Haradinaj, im Auto erschossen.

Keine Verurteilung in Den Haag

Ebenfalls 2005 musste Haradinaj selbst ins Gefängnis nach Den Haag, wo ihm vor dem Jugoslawien-Tribunal wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht wurde. Haradinaj wurde vorgeworfen, im Krieg Teil einer verbrecherischen Unternehmung gewesen zu sein, die zum Ziel hatte, "totale Kontrolle" über die Dukagjin-Region zu bekommen, indem Serben, aber auch Roma, Ägypter und Albaner und andere Zivilisten, die unter "Verdacht" standen, mit Serbien zu kollaborieren, entführt oder misshandelt wurden.

Insbesondere Serben wurden ab 1998 von der UÇK aus ihren Dörfern vertrieben. Das Gericht hielt im Prozess gegen Haradinaj fest, wie schwierig es gewesen sei, Zeugen zum Sprechen zu bringen. Man habe den "starken Eindruck" erhalten, dass die Zeugen sich unsicher fühlten. Sieben Morde wurden in dem Verfahren der UÇK nachgewiesen. Doch man konnte Haradinaj nicht nachweisen, dass es eine gemeinsame vorsätzliche Bildung einer verbrecherischen Unternehmung gegeben hatte, und er wurde 2008 freigesprochen. Zumindest ein Zeuge starb unter mysteriösen Umständen. Das Verfahren wurde nochmals aufgerollt, aber Haradinaj 2012 erneut aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Konflikt zwischen Haradinaj und Präsident Thaçi

Der Premier hat nun als einen der ersten Schritte eine neue Kommission für die Staatsgrenzen ernannt und die alte gefeuert. Haradinaj hatte in den letzten Jahren politisch gegen ein Grenzabkommen mit Montenegro gekämpft, und zwar mit der Behauptung, dass der Kosovo durch die Grenzziehung Territorium verlieren würde – was zwar nicht den Erkenntnissen der Experten entsprach, aber Haradinaj politisch half. Dahinter steckt eine uralte Geschichte: Bevor der ehemalige Kommandant, der im Kosovo als "Kriegsheld" verehrt wird wie kein anderer, nach Den Haag musste, war er Premierminister.

Sein größter Rivale war schon im Krieg der damalige UÇK-Kommandant und heutige Präsident Hashim Thaçi. Dieser soll ihm versprochen haben, dass er nach der Rückkehr aus Den Haag wieder Premier werden könne. Doch das geschah nicht: Thaçi bremste Haradinaj aus, und dieser musste in den vergangenen Jahren in der Opposition bleiben. Doch dem heute 49-Jährigen ging langsam das Geld aus – er vermietete sogar sein Haus in Prishtina. Die Geschichte um den angeblichen Verlust von Territorium durch das Grenzabkommen mit Montenegro war in dieser Situation ideal, auch um wieder an die Macht und damit an die Geldtöpfe zu kommen. Viele Kosovaren wählten im Juni Haradinaj schließlich wegen der Grenzabkommensgeschichte.

25 Parteien in der Regierung

Gemeinsam mit der linksnationalistischen Vetëvendosje (Selbstbestimmung) hatte er zuvor die Parlamentsarbeit boykottiert. Schließlich lenkte die PDK von Hashim Thaçi ein und noch vor der Wahl wurde ein Parteienbündnis geschlossen, das nun an der Macht ist. Wie so oft auf dem Balkan sollen nun die heiklen Probleme nicht von den moderaten, sondern eher von den nationalistischen Kräften gelöst werden. Montenegro will allerdings nicht mehr über die Inhalte des Abkommens verhandeln. Will man also das Abkommen ratifizieren, muss man es in der bisherigen Version tun.

Wenn das nicht gelingt, wird der Kosovo weiterhin keine Schengen-Visaliberalisierung bekommen, und auch das müsste Haradinaj dann rechtfertigen. Sein riesiges Kabinett mit 21 Ministern – absurd für einen derart kleinen und armen Staat wie den Kosovo – zeigt, wie viele Kräfte "zufriedengestellt" werden mussten, um überhaupt eine Koalition zustande zu bringen. Insgesamt sind 25 Parteien, darunter auch mehrere Kleinstparteien, vertreten. (Adelheid Wölfl, 19.9.2017)