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Aufgrund vieler Vorurteile kaufen sich noch immer viele Unternehmen von der Pflicht frei, Menschen mit Behinderungen einzustellen.

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Wien – Es waren wenige Sekunden, die das Leben von Gregor Demblin gewaltig veränderten: Auf der Maturareise verletzte sich der damals 18-Jährige bei einem Hechtsprung ins Meer dermaßen schwer, dass er seither vom fünften Halswirbel abwärts gelähmt ist. Was aber für seine weitere Vita viel bestimmender war, war weniger der Rollstuhl, in dem er jetzt saß: "Als Behindertem wurde mir keine Leistung zugetraut, ich kam mir vor wie ein Mensch zweiter Klasse", sagt der heute 40-Jährige.

Es dauerte Jahre, bis Demblin nach seinem Philosophiestudium einen Job bekam, bei dem er seine Fähigkeiten zeigen durfte. Diese Erfahrung stärkte seinen Kampfgeist und Willen, sich gegen die Behinderung behinderter Menschen besonders im Arbeitsumfeld einzusetzen. Er half Motary aufbauen, eine Produktplattform für Menschen mit Bewegungseinschränkungen, war 2009 Mitgründer der Online-Jobinitiative Career Moves und 2014 der Unternehmensberatung Myabilty.

Wettbewerbsvorteil

Zwölf Mitarbeiter (davon sechs mit Behinderungen) zeigen heute Firmen, wie behinderte Menschen für alle Beteiligten gewinnbringend besser integriert werden können. Die Beratung bei Myability geht noch weiter: "Wir machen deutlich, dass eine inklusive Firmenkultur auch bei Kunden ein Wettbewerbsvorteil sein kann", sagt Demblin.

Wer etwa sein Geschäft oder seine Firmenwebsite nicht barrierefrei gestalte, lasse viel Geld liegen, betont der dreifache Vater. Immerhin hätten 15 Prozent der europäischen Bevölkerung eine Behinderung, wenn auch viele davon nicht sichtbar. Tendenz aufgrund der zunehmend alternden Gesellschaft stark steigend. Ein gutes bzw. schlechtes Beispiel dafür der Tourismus: Gerade einmal 40 Prozent der Hotels hätten für Behinderte ein zufriedenstellendes Angebot. Keine zehn Prozent der Firmenwebseiten sind barrierefrei.

Auch wenn etwa große Lebensmittelketten das Potenzial inzwischen erkannt hätten, verstärkt Menschen mit Behinderungen einzustellen und ihre Filialen weitgehend barrierefrei zu machen: Um die 85 Prozent der österreichischen Firmen zahlten lieber die Ausgleichstaxe von mindestens 253 Euro pro Monate, um sich von ihrer Pflicht, eine bestimmte Quote behinderter Menschen zu beschäftigten, freizukaufen.

Investorengeld für Expansion

Abgesehen von der Scheu, sich mit Behinderten auseinanderzusetzen, sieht Demblin einen Grund dafür in dem immer noch in Personalabteilungen spukenden Stehsatz: "Die kriegen wir nie wieder los." Es sei kaum bekannt, dass seit 2011 der Kündigungsschutz für Behinderte erst nach dem Ablauf von vier Jahren wirksam werde. Abgesehen davon: Firmen, die es geschafft hätten, Vorurteile wie Angst vor Minderleistungen oder vermehrten Krankheiten behinderter Mitarbeiter abzubauen, würden auf diese ohnehin nicht mehr verzichten wollen.

Der Ansatz von Myability, nicht den Mitleidsfaktor, sondern die Bedeutung Behinderter für Wirtschaft und Gesellschaft bei ihrer Beratung in den Vordergrund zu stellen, ist auf großes Echo gestoßen: Ein Konsortium von Investoren aus der Schweiz und Deutschland ist vor kurzem bei dem Unternehmen eingestiegen, um mit Wachstumskapital in sechsstelliger Höhe die Expansion in den gesamten deutschsprachigen Markt zu finanzieren. (Karin Tzschentke, 18.9.2017)