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Imam-Hatip-Schule in Ankara: Im vergangenen Jahr wurden 1.002 derartige religiöse Einrichtungen neu gegründet.

Foto: Reuters / Umit Bektas

Ankara/Athen – Die Schulglocken läuten in der Türkei am Montag zum ersten Mal wieder für die meisten der 18 Millionen Kinder und Jugendlichen. Doch im Land des Ausnahmezustands und der Massensäuberungen kündigt sich das neue Schuljahr schon seit Tagen mit schrillen Tönen an.

Religiöse und Säkulare streiten über neue Schulbücher, fehlgeschlagene Reformen, die richtige Uhrzeit für den Unterrichtsbeginn am Morgen oder auch über eine Kantine in einer Istanbuler Mittelschule, in der Mädchen und Buben nun getrennt Schlange stehen sollen unter einem rosafarbenen und einem blauen Schild mit großen Lettern. Die Eltern wollten es so, erklärt der Direktor.

Lob des Ministers

Die neuen Lehrpläne lobte Bildungsminister İsmet Yılmaz – er führte bis vor kurzem das Verteidigungsressort – als die "demokratischsten, wissenschaftlichsten, modernsten, die je gemacht worden sind".

Darwins Evolutionstheorie ist aus den Lehrbüchern verschwunden, zum Leidwesen der Anhänger des Republikgründers auch das Kapitel "Ich lerne das Atatürk-Wesen und die Atatürk-Reformen" in einem Sozialkundebuch für die Mittelschule. Zehnjährige befassen sich dafür künftig mit den Vorzügen des neuen Präsidialsystems von Staatschef Tayyip Erdoğan, "unserem Oberbefehlshaber". Die neue Verfassung der Türkei festige die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, heißt es dort.

Frau und Mann im Lehrbuch

Den Protest über eine Passage in einem anderen Lehrbuch wiegelte ein führender Vertreter des Bildungsministeriums derweil ab. Die Frau habe sich in der Familie dem Mann unterzuordnen, lernen türkische Schüler in einem neuen Geschichtsbuch über das Leben des Propheten Mohammed.

Nicht zutreffend erklärte Alpaslan Durmuş, Vorsitzender des Gremiums im Ministerium, das die Lehrpläne entwirft. "Ehepartner schulden einander Gehorsam und Loyalität", stünde in dem Buch. Wenn sich die Rolle des Haushaltsvorstands von Mann zu Frau ändere, dann änderten sich auch die Verpflichtungen, sagte Durmuş vor türkischen Journalisten. Dann müsse der Mann der Frau gehorchen, ließ der türkische Lehrplanchef verstehen.

1,2 Millionen Schüler an religiösen Schulen

Das Geschichtsbuch ist in erster Linie für den Unterricht an den Imam-Hatip-Schulen gedacht, religiösen Gymnasien, die eigentlich der Ausbildung zum Imam dienen. Erdoğan ging in Istanbul in den 1960er-Jahren auf eine solche Schule, zu einer Zeit, in der Imam-Hatip-Gymnasien ein Randdasein fristeten. Das hat sich im Lauf der Regierungszeit der konservativ-islamischen AKP unter Erdoğan gründlich geändert.

Innerhalb eines Jahres ist die Zahl der Imam-Hatip-Schüler nochmals um knapp 76.000 Schüler 2015/16 auf 1,2 Millionen im Schuljahr 2016/17 angewachsen. 1002 neue Schulen kamen in dieser Zeit dazu. Insgesamt sind von derzeit rund 28.000 Schulen der Mittel- und Oberstufe in der Türkei 4.112 Imam-Hatip-Schulen.

91 Prozent Einschulungsrate

Die Statistiker reiben sich gleichwohl die Augen: Die Bevölkerung in der Türkei ist jung und wächst, doch die Einschulungsrate sinkt laut der nun bekanntgemachten Zahlen für das vergangene Schuljahr. Fast zwei Millionen Kinder wurden laut Bildungsministerium nicht eingeschrieben. Mit 91 Prozent fiel die Rate auf das Niveau von 2007 zurück; 2013 waren laut Statistikamt noch fast 100 Prozent aller Kinder in den Grundschulen eingeschrieben worden.

Die Lehrergewerkschaft macht für den Rückgang die umstrittene Schulreform der AKP-Regierung 2012 verantwortlich, aber auch die Erschütterungen im Bildungsbereich nach der Verhängung des Ausnahmezustands. 33.000 Lehrer sind nach offiziellen Angaben entlassen worden. 20.000 neue sollen nun eingestellt werden. (Markus Bernath, 18.9.2017)