Beim FDP-Parteikongress am Sonntag zeigte sich Christian Lindner siegesgewiss. Er will die Liberalen in den Bundestag zurückführen.

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STANDARD: 2013 flog die FDP nach 65 Jahren aus dem Deutschen Bundestag. Warum sollen die Deutschen sie jetzt, vier Jahre später, wieder hineinwählen?

Lindner: Die FDP hat freigelegt, warum Theodor Heuss und andere einmal die Freien Demokraten gegründet haben. Es geht uns um den einzelnen Menschen, seine Chancen und um Freiheit. Ich nenne das Rundum-Liberalismus, der in Bildung investiert, Menschen vor übermächtigen Konzernen wie Google schützt, ebenso vor einer bevormundenden Bürokratie, vor dem Abkassieren durch den Staat und dem Bespitzeltwerden.

STANDARD: Bei der Steuersenkung – einem klassischen FDP-Thema – sind Sie recht vage. Ist das die Lehre von früher, als die FDP alles versprach und nichts hielt?

Lindner: Die FDP hat sich 2009 auf die Steuerpolitik konzentriert und dann nicht das zuständige Ministerium genommen. Jetzt sind wir thematisch viel breiter aufgestellt.

STANDARD: Dennoch: Wer kann mit der FDP heute sparen?

Lindner: Wir haben eine ganze Palette von unterschiedlichen Entlastungen für die Mitte der Gesellschaft. Das fängt an bei besseren Zuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger (Sozialhilfeempfänger, Anm.), geht über die Abschaffung der Stromsteuer weiter zu Sozialabgaben, die deutlich unter statt deutlich über 40 Prozent liegen müssen. Zudem wollen wir für die selbstgenutzte Wohnung einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer einführen und den Soli (Solidaritätszuschlag für den Osten, Anm.) abschaffen.

STANDARD: In Ihren Wahlkampfveranstaltungen ist oft von Polizisten und Krankenschwestern die Rede. Gehört der Zahnarzt mit Porsche nicht mehr zur Zielgruppe?

Lindner: Dieser Wähler war schon früher nur ein Klischee. In der statistischen Wirklichkeit war er ein 51 Jahre alter Handwerksmeister mit Frau und zwei Kindern aus dem ländlichen Raum. Heute wählen uns ehrliche, fleißige Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Ich freue mich natürlich, wenn neue hinzukommen, etwa Frauen oder Gründer.

STANDARD: Die soziale Kälte der FDP ist passé?

Lindner: Wir beschäftigen uns nicht mit falschen Klischees. Die große Koalition hat die Sozialabgaben der Krankenschwester erhöht. Wir haben damals das Kindergeld erhöht und die Praxisgebühr abgeschafft.

STANDARD: Warum wollten diese dann nicht die FDP wählen?

Lindner: Die Gründe für das Scheitern waren andere.

STANDARD: Die FDP hat vier harte Jahre in der außerparlamentarischen Opposition hinter sich und landet nach der Wahl vielleicht gleich mit Angela Merkel in einer Regierung. Schafft sie das überhaupt aus dem Stand?

Lindner: Die FDP ist zur Übernahme von Verantwortung bereit, wenn Gutes bewirkt werden kann. So haben wir es nach der Landtagswahl im Mai in Nordrhein-Westfalen gemacht. Wenn wir unsere Handschrift in einer Regierung nicht erkennen, gehen wir in die Opposition. Die Offerten von Winfried Kretschmann (grüner Ministerpräsident, Anm.) in Baden-Württemberg haben wir deshalb 2016 ausgeschlagen.

STANDARD: Wenn es nicht reicht für Schwarz-Gelb, müssten die Grünen ins Boot. Ist Jamaika vorstellbar?

Lindner: Für ein Jamaika-Bündnis fehlt mir die Fantasie. Die Grünen sind bei der Einwanderungspolitik im Jahr 2015 stehengeblieben und weigern sich, etwa die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Wir hingegen wollen ein geordnetes Einwanderungsrecht.

STANDARD: Die FDP sieht sich als Partei der Rechtsstaatlichkeit. Wie passt es zusammen, dass Sie die Annexion der Krim als "dauerhaftes Provisorium" akzeptieren?

Lindner: Die FDP steht in der Tradition des Nato-Doppelbeschlusses und der Ostpolitik. Die hat immer zwei Dinge verbunden: Konsequenz und Dialogbereitschaft. Daran mangelt es der deutschen Russland-Politik heute. Alles von der Krim abhängig zu machen wird die Eskalationsspirale nicht stoppen. Wir können diesen Völkerrechtsbruch nicht akzeptieren. Aber hier wird sich Putin erst ganz zuletzt bewegen. Deshalb empfehle ich, den Konflikt einzufrieren und nach einer Lösung zu suchen, wenn es bei leichteren Fragen Entspannung gegeben hat. (Birgit Baumann, 18.9.2017)