Die Polizei am Einsatzort in Hohenems.

Foto: APA/DIETMAR MATHIS

Sie wurde in der Nacht um 4.40 Uhr von Nachbarn alarmiert.

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Hohenems – Nachbarn alarmierten gegen 4.40 Uhr Samstagnacht die Polizei. Aus einer Dachwohnung des Mehrfamilienhauses drangen Schreie. Die Polizei stand wenig später vor der versperrten Wohnungstür, musste sie gewaltsam aufbrechen. Der Anblick am Tatort habe selbst langjährige Ermittler tief erschüttert, sagte Michael Beyrer von der Landespolizeidirektion am Samstagmittag bei einer Pressekonferenz in Bregenz: Im Wohnzimmer lagen die kleinen Mädchen, vom Vater getötet durch mehrere Messerstiche, in der Küche die 33-jährige Mutter, zuerst mit einem Hammer geschlagen, dann ebenfalls mit Messerstichen traktiert.

Die Tatwaffe war ein Küchenmesser. Der mutmaßliche Täter dürfte sich, so Chefermittler Norbert Schwendinger, selbst einen Messerstich zugefügt haben und habe sich, wahrscheinlich als er die Polizei hörte, durch das Badezimmerfenster aus acht bis zehn Meter Höhe in den Hof gestürzt. Er war sofort tot.

Seit August Betretungsverbot

Vor der Tat hatte sich der Mann bei seinen Eltern aufgehalten, wie er in die Wohnung gelangte, konnte (noch) nicht festgestellt werden. Ob ihm die Frau die Türe geöffnet hat oder der Täter trotz Betretungsverbot einen Schlüssel hatte, ist noch unklar. Die Abnahme der Schlüssel sei keine Standardmaßnahme, sagte Beyrer. Zum Motiv konnte die Polizei am Samstagmittag noch nichts sagen, vermutlich bleibt es ungeklärt.

Gegen den Mann, ein türkisch stämmiger österreichischer Staatsbürger, bestand ein Betretungsverbot wegen Gewalt gegen seine Frau, erklärte der Dornbirner Bezirkshauptmann Helgar Wurzer. Am 7. August sei die Kinder- und Jugendhilfe durch die Polizei informiert worden. Zwei Tage später wurde die Frau, eine türkische Staatsbürgerin, von der Behörde kontaktiert, ihr wurde geraten, sich mit der Gewaltschutzstelle in Verbindung zu setzen, von der sie in der Folge unterstützt wurde.

Das Betretungsverbot wurde gerichtlich von 14 Tagen auf sechs Monate verlängert. Ein Scheidungsverfahren sei nicht anhängig gewesen, sagte Schwendinger.

Keine Hinweise auf Gefahr

Der gewalttätige Ehemann nahm auf Anraten der Behörde die Täterberatung in Anspruch. Ein weiterer Termin bei der Bezirkshauptmannschaft hätte nächste Woche stattfinden sollen. Hätte eine bessere Kooperation aller involvierten Stellen die Tat verhindern können? Diese Frage habe man sich natürlich gestellt, sagt der Bezirkshauptmann, es habe jedoch keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr gegeben. Erst, wenn wirklich konkrete Gefahr bestehe, könne die Behörde nach Unterbringungsgesetz handeln.

Im Fall der Hohenemser Familie habe man keine Hinweise auf die drohende Gefahr gehabt. Die Vernetzung der Behörden und Beratungsstellen sei im Vergleich zu anderen Bundesländern in Vorarlberg sehr gut, sind sich Bezirks- und Polizeibehörde einig.

Gesetzesänderung gefordert

Arno Dalpra, Leiter der Gewaltberatung des Instituts für Sozialdienste, sieht bei Vernetzung und rechtlichen Rahmenbedingungen Verbesserungsmöglichkeiten. Für Beratungsstellen gebe es aufgrund der herrschenden Gesetzeslage wenig Interventionsmöglichkeiten, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. "Das Gesetz nimmt die Täter in ihrer Gefährlichkeit nicht ernst", sagt der Therapeut. "Juristisch gesehen sind sie bei der Wegweisung keine Täter." In der Beratung könne man nur mit der Eigenverantwortung der Täter arbeiten. Dalpra: "Unser einziges Kapital ist die Einsicht der Täter."

Österreichweit wurden im Vorjahr 8637 Betretungsverbote verhängt. Der Großteil familiärer Gewalt bleibe ungeahndet. 80 Prozent der Verfahren nach einer Wegweisung werden eingestellt, der Mann gelte und fühle sich dann als unschuldig, sagt Dalpra.

Frühere Intervention notwendig

Ein weiterer Kritikpunkt, der aus der Gewaltberatung immer wieder geäußert wird: Die Kontaktnahme mit dem Gewalttäter erfolgt zu spät. Ein Erstgespräch müsse innerhalb von 72 Stunden stattfinden, fordert Dalpra. "Kurz nach der Wegweisung sind Täter am ansprechbarsten." Eine Wegweisung sei ein massiver Eingriff in das Beziehungssystem einer Familie. Opfer wie Täter befänden sich in psychischen Ausnahmesituationen, hier sei rasche Intervention gefordert. Gute Kooperation zwischen Opfer- und Tätereinrichtungen sei notwendig.

Bei der Betreuung der Familien müsse auch das Umfeld berücksichtigt werden. Gerade in Familien mit einem kulturellen Hintergrund, der Frauen keine Rechte zubillige, Trennung oder Scheidung ablehne, müsse der Einfluss der Community bei der Beratung mitberücksichtigt und so gering wie möglich gehalten werden.

Dalpra fordert bei Beziehungsgewalt die Verpflichtung zur Täterberatung über das Sicherheitspolizeigesetz. (Jutta Berger, 16.9.2017)