Sesam, öffne dich – und dahinter die Tiroler Berge: Nach außen lässt das Bauwerk im Inntal weder seinen Inhalt noch seine Dimension erahnen.

Foto: Christian Flatscher

Durchschaut: Das Erdgeschoß liegt im zweiten Stock. Oder?

Foto: Andreas Buchberger

"Willkommen in meinem Heiligtum!" Eine fensterlose Halle, Sichtbeton, Neonlicht. Sakral sieht es nicht gerade aus, doch Peter Morass fühlt sich an seinem neuen Arbeitsplatz schon voll und ganz zu Hause. Der Präparator der Tiroler Landesmuseen, stolzer Taxidermie-Europameister 2004 (Disziplin Rotgesichtsmakaken), hat endlich alle seine Werke übersichtlich beisammen – Mollusken, Schnecken, Schmetterlinge, Tausende von winzigen Insekten in Holzkisten und einen ausgewachsenen Tiger. Von der Decke hängen ausgestopfte Raubvögel, ein Wildschweinkopf lugt aus einer Holzkiste. "Wollen Sie mein wertvollstes Exponat sehen?" Na klar. Ganz hinten im Stahlregal und ganz unscheinbar: ein Dünnschnabel-Brachvogel, präpariert im Jahr 1896, eine inzwischen fast ausgestorbene Schnepfenart.

Auch Günther Dankl, Kustos der kunstgeschichtlichen und grafischen Sammlungen der Tiroler Landesmuseen, ist glücklich in seinem fensterlosen Archiv. Werke von Andy Warhol und Albin Egger-Lienz sind sauber geordnet, die Hängung optimiert und systematisiert. "Vorher war die Sammlung sehr beengt, jetzt haben wir endlich Platz." Platz auch für das Wachstum der Sammlung in der Zukunft, denn ein großer Teil des Depots ist noch leer.

Das Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen bündelt naturwissenschaftliche und kunsthistorische Objekte ebenso wie das Depot der Kaiserjäger erstmals an einem Ort. Wie der Name schon andeutet, ist es kein reines Archiv, sondern umfasst auch Werkstätten für die Restaurierung und die Ausstellungsarchitektur. "Die Geschichte der Sammlung reicht fast 200 Jahre zurück, bis zur Gründung des Ferdinandeums im Jahr 1823", erklärt Sigrid Wilhelm, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit bei den Tiroler Landesmuseen. "Irgendwann sind die Depots jedoch aus allen Nähten geplatzt, manche Ausstellungsflächen mussten als Lager benutzt werden."

Kein Museum, keine Lagerhalle

2007 wurde die Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m.b.H. gegründet. Für die dringend anstehende Bündelung der verstreuten Sammlung wurde ein landeseigenes Grundstück am Ortsrand von Hall in Tirol gefunden. Die 35 Mitarbeiter sind schon eingezogen, am 8. September wurde der 24 Millionen Euro teure Bau von Landeshauptmann Günther Platter eröffnet, kirchlicher Segen inklusive.

Von einer "Schatztruhe" war bei den Feierlichkeiten die Rede. Schätze sind es in der Tat, die hier beherbergt werden, dementsprechend hoch ist das Sicherheitsbedürfnis. Für die Öffentlichkeit ist das Gebäude nicht zugänglich. Eine Schatztruhe zu bauen ist auch eine spezielle Herausforderung an die Architektur. "Das Gebäude ist kein Museum, aber auch keine Lagerhalle. Der Weg zu dieser Einfachheit war ein schwieriger Prozess, "erklärt Architekt Robert Diem. Mit seinem Architekturbüro Franz gewann er 2013 den Wettbewerb unter 151 Einreichungen, dieses Jahr fusionierte man mit den befreundeten Kollegen von Sue Architekten zum Büro Franz&Sue.

Einfach ist sie auf den ersten Blick, die niedrige, schwarzgraue Kiste zwischen den steilen Hängen des Inntals. Auf den zweiten Blick bemerkt man, dass auf den regelmäßigen Fassadenplatten die Silhouette eines frühgeschichtlichen Faustkeils ein unregelmäßiges Muster bildet, ein geflüsterter Gruß aus dem Inneren. Dieses Muster zieht sich um das gesamte Gebäude, insgesamt stolze 290 Laufmeter. Geöffnet wird die Schatztruhe nur zu Betriebszeiten, wenn die wenigen Türen und Tore wie ein Sesam-öffne-dich-Mechanismus aufklappen und ihre Innenseiten nach außen knallrot leuchten lassen. Die 15 quadratischen Fenster der hauseigenen Tischlereiwerkstatt lassen dabei an die Türen eines Adventkalenders denken. Nach Feierabend werden alle Luken dichtgemacht und die Truhe zum dunklen Tresor.

Die hier aufbewahrten Schätze, ob Vogel, Ölgemälde, Pilz oder Uniform, benötigen vor allem ideale klimatische Bedingungen: 19 Grad Celsius, 50 Prozent Luftfeuchtigkeit, und das kontinuierlich.
Christian Flatscher, Andreas Buchberger

Die geheimnisvolle Hermetik ist jedoch keineswegs eine reine architektonische Sicherheitsmaßnahme. Denn die hier aufbewahrten Schätze, ob Vogel, Ölgemälde, Pilz oder Uniform, benötigen vor allem ideale klimatische Bedingungen: 19 Grad Celsius, 50 Prozent Luftfeuchtigkeit, und das kontinuierlich. Mit Panoramafenstern funktioniert das nicht, schon eher mit einem ganz archaischen und simplen Prinzip. "Das ganze Haus ist zu zwei Dritteln in den Hang eingegraben, so ergibt sich die Klimastabilität fast von allein", erklärt Robert Diem, der als gebürtiger Niederösterreicher hier auf seine Weinkeller-Erfahrung zurückgreifen konnte.

Szenenwechsel: ein sonnenbestrahlter Innenhof mit Bäumen und Sitzbänken, rundum eine dreigeschoßige Fassade aus Glas und freundlichem Lärchenholz. Rein gar nichts daran scheint mit der flachen Kiste in der Wiese etwas gemeinsam zu haben, und doch ist es ein und dasselbe Gebäude. Denn die Schatztruhe ist räumlich nach dem Zwiebelprinzip organisiert: außen die Depots, innen die tageslichthellen Werkstätten der Forscher, dazwischen ein umlaufender Gang, über den Forschung und Sammlung quasi-osmotisch kommunizieren. Eine Abschirmung, die konzentrier- tes Arbeiten ohne Ablenkung erlaubt. Die Typologie lässt an ein gut verstecktes Geheimdienstlabor denken. Faszinierend-irritierende Folge dieses Raumkonzepts: Steht man im Innenhof, befindet man sich zwei Geschoße unter der Erde, fühlt sich aber wie im Erdgeschoß. Das Stiegenhaus erlaubt den einzigen Durchblick, der das schizophrene Rätsel im Hirn des Betrachters auflöst.

Ein Innenhof als Oase

"Der Innenhof soll eine Oase für die Mitarbeiter sein", sagt Robert Diem, "und dient ganz pragmatisch auch zur Orientierung." Die benötigt man auch, denn ohne visuelle Verankerung in der Inntaler Außenwelt kann das Innere der immerhin 66.000 Kubikmeter großen Schatzkiste leicht zum Labyrinth werden, auch wenn es darin nur einen einzigen Gang gibt. Eine visuelle Stütze bieten die unübersehbaren Geschoßbezeichnungen im Stiegenhaus, die direkt in den Beton gemeißelt sind und einen Hauch hochalpinen Fels-Feelings verströmen. Für eine weitere Identifikationshilfe haben die Architekten vorgesorgt: Eine umlaufende Schiene an der Wand des Gangs bietet den Mitarbeitern Gelegenheit, hausinterne Spontanausstellungen zu kuratieren.

Das nächste Werkstück von Peter Morass dürfte für eine Hängung allerdings etwas zu groß sein. Sein erster Auftrag am neuen Arbeitsplatz ist eine Königsdisziplin, auf die er sich besonders freut: Die Präparation des im letzten Dezember im Wiener Zoo verstorbenen Pandabären Long Hui, der in konservierter Form Mitte 2018 an seinen rechtmäßigen Besitzer, die Volksrepublik China, zurückgehen wird. Manche Schätze in der Truhe sind eben nur Schätze auf Zeit. (Maik Novotny, 17.9.2017)