2012 hat der 18. Parteitag eine tiefgreifende Schulbuchreform angeordnet. Diese wurde nun in einer ersten Etappe umgesetzt, ...

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... und zwar mit neuen Unterrichtsmaterialien für die erste und ...

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... die siebente Schulstufe.

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Das neue Unterrichtsbuch "Chinesische Sprache" scheint Sechsjährigen Spaß zu machen. Auf der ersten Doppelseite begrüßt sie eine lustige Kinderschar in den Trachten der 56 Nationalitäten des Landes. Die Lehrer lassen die Grundschüler raten, wer Hanchinese, Tibeter oder Mongole ist. Die gezeichneten Kinder stehen vor der roten Staatsfahne am Pekinger Tor des Himmlischen Friedens. Sie rufen unisono: "Ich bin ein Chinese!"

Mit der Botschaft von der großen Gemeinschaft beginnt ein Lehrbuch, das seit dem Schulanfang an Millionen Tafelklassler verteilt wird. Klasse eins in der Grundstufe und Klasse sieben, mit der die Mittelstufe beginnt, machen den Anfang in Chinas großer Schulbuchreform. Diese wurde von der Kommunistischen Partei nach ihrem 18. Parteitag 2012 mit Amtsantritt des KP-Vorsitzenden Xi Jinping angeordnet. Bis Ende 2018 sollen alle 140 Millionen Schüler im neunjährigen Grund- und Mittelschulsystem des Landes das Lehrmaterial nutzen.

Drei Schwerpunktfächer

Neu geschrieben wurden die Bücher für drei Schwerpunktfächer: Chinesisch, Moral und Rechtswesen sowie Geschichte. Im Fach Moral und Rechtswesen für die siebente Klasse geben sich Karl Marx und Konfuzius ein Stelldichein. Auch Chinas Mustersoldat Lei Feng ist dabei und stellt seine berühmte Frage: "Kannst du als Rädchen ein Leben lang an einer Stelle bleiben?"

Die Bücher im Fach Geschichte korrigieren, dass China und seine heroische Kommunistische Partei nur sieben Jahre lang, von 1937 bis 1945, den Widerstandskrieg gegen den Invasionsstaat Japan geführt hätten: Nein, sie kämpften doppelt so lang und schon von 1931 an. Das hat Folgen: Chinesen seien nicht nur die Hauptleidtragenden, sondern auch die entscheidende Widerstandsmacht gegen Japan gewesen. Sie gewannen den Zweiten Weltkrieg in Asien. Ihnen fallen damit die Früchte der Nachkriegsordnung in Asien zu. Peking übe heute "legitime Souveränität" über Tibet, Xinjiang und Taiwan, über die noch von Japan verwalteten Senkaku-Inseln (Diaoyu) im Ostchinesischen Meer und über alle Inseln im Südchinesischen Meer aus. Die Volkszeitung kommentierte: "Die Schulbuchreform wird den Schülern ein korrektes Verständnis der Geschichte und der nationalen Souveränität Chinas vermitteln."

Kontrolle an Schulen und Universitäten

Es geht noch um einen anderen Punkt. Pekings Führung sorgt sich, die im weltoffenen China aufgewachsene, von Internet-Chats, Filmen, Musik und ausländischem Lebensstil geprägte junge Generation an den Westen zu verlieren. Nach verschärften Kontrollen über die Universitäten und Akademien zieht sie die Zügel an den Schulen an. Der stellvertretende Erziehungsminister Zhu Zhiwen gestand im Mai ein, dass es nicht nur um Korrekturen von Schulbüchern gehe, sondern um "staatliches Handeln", enthüllte die Zeitschrift Nanfang Zhoumo. "Im neuen Lehrmaterial verstärkten wir unsere Erziehung in sozialistischen Werten, in traditioneller klassischer Ausbildung und in revolutionären Traditionen."

Peking könne nicht untätig bleiben, wenn Japan über seine Schulbücher die Kriegsschuldfrage leugnen lasse, wenn Unabhängigkeitskräfte in Hongkong und Taiwan seit 20 Jahren versuchten, die dortige Jugend "gehirnzuwaschen". "Vor dem Hintergrund des komplizierten ideologischen Kampfes im In- und Ausland müssen wir unsere Jugend von Anfang an nach unseren Werten erziehen und ihre roten Gene stärken."

Chinesische Ideale

Das passt zu den Vorgaben von Parteichef Xi. Zur Erfüllung des Traums von einem weltweit auferstehenden China verlangte er im September 2014, der Jugend neben kommunistischen Idealen auch Kenntnisse traditioneller Klassik, Dichtkunst und Literatur einzubläuen. Sie sollen "in die Köpfe der Schüler von klein auf eingepflanzt und zum kulturellen Gen der chinesischen Nation werden".

Altchinesische Texte, darunter 110 klassische Gedichte, sind allein in die zwölf Bände "Chinesische Sprache" für die Grundschule aufgenommen worden. Subtil spiegelt sich die Rückbesinnung auf Traditionen auch in der Vermittlung der Schriftsprache wider. Im ersten Kapitel müssen die Sechsjährigen ohne Hilfe durch die lateinische Lautumschrift Pinyin eine Reihe von Zeichen schreiben lernen. Sie stehen für die Begriffe Himmel, Boden, Mensch und für die Personalpronomen du, ich, er. Danach müssen sie sich die Schriftzeichen für die Elemente Eisen, Holz, Wasser, Feuer und Erde einprägen. So wurde die Schriftsprache schon in den Schulbüchern vor 1949 unterrichtet.

Fünf Jahre Arbeit an Reform

Die Umschrift Pinyin aber lernen die Grundschüler nicht mehr von Anfang an, sondern erst nach einem Monat Unterricht. Diese Umkehrung sei gewollt, sagte Wen Rumin, einer der Hauptverantwortlichen für die Reform, der Zeitung Beijing News. "Chinas Schrift und ihre Zeichen stehen wieder an erster Stelle."

140 Fachleute bearbeiteten fünf Jahre lang die neuen Schulbücher. Mit Gutachtern und Forschern arbeiteten 900 Beteiligte mit, schrieb die Volkszeitung. Mitte Juli gründete der Staatsrat Chinas erste, mit dutzenden Ministern hochrangig besetzte Staatskommission für Lehrmaterial. Geleitet wird sie von Vizepremier und Politbüromitglied Liu Yandong.

Bei Schulbüchern versteht die Partei keinen Spaß. Nach Xis Amtsantritt wurden alle Experimente gestoppt und das staatliche Monopol auf Lehrmaterial wieder eingeführt. Davor hatten mehr als 70 Akademien und Verlage 167 Reform-Lehrbücher für 22 Schulfächer als Ergänzung des Pflichtlehrstoffs herausgegeben dürfen. Das Erziehungsministerium erlaubte Lehrern und Eltern, diese Lehrbücher begleitend zu nutzen.

Kurze Reformperiode

Für kurze Zeit herrschte eine Reformperiode, als Peking 2001 der Welthandelsorganisation beitrat. Der Volkskongress verankerte das Recht auf Eigentum und auf den Schutz der Menschenrechte in der Verfassung. In Peking durften mehr als hundert namhafte Erziehungswissenschafter eine Reihe neuer Aufklärungsschulbücher herausgeben, darunter auch eine vierbändige Bürgerkunde Xin Gongmin. Das Lehrbuch begann mit der Aufforderung an die Schüler: "Schau in den Spiegel. Wen siehst du da? Dich selbst! So, wie es keine identischen Blätter auf Bäumen gibt, bist auch du einzigartig. Stell dich vor deinen Spiegel und sage: Ich mag mich!"

Die Autoren wollten Chinas Schüler auf eine globalisierte Welt vorbereiten, in der es auf Eigeninitiative und kritische Nachfrage ankommt. Jeder könne mehr aus sich machen, als nur ein austauschbares Rädchen im sozialistischen Getriebe zu sein. Ihr Lehrstoff diskutierte auch das Steuerrecht; erklärte, wie man gegen Behörden Klage führt und warum Angeklagten die Unschuldsvermutung bis zum Nachweis eines Verbrechens eingeräumt werden muss.

Die neuen Schulbücher loben dagegen die Anpassung des Einzelnen an das Kollektiv. Immerhin behandeln sie auch aktuelle Jugendprobleme von der Pubertät über das Gefühlsmanagement bis zu Online-Freundschaften. Doch Erziehung zur Innovation und zum selbstständigen kritischen Denken muss in den neuen Schulbüchern wieder nachsitzen. (Johnny Erling, 14.9.2017)