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Hunderttausende Demonstranten zeigten Macron am Dienstag, was sie von seiner Arbeitsmarktreform halten.

Foto: Reuters/JEAN-PAUL PELISSIER

"Ich bin ein Faulenzer", hat sich Mathieu auf die Stirn gepinselt. "Und dazu zynisch und extrem." Wütend ist der junge Personaldelegierte einer Pariser Transportfirma auch. Natürlich über Emmanuel Macron, der vor einigen Tagen erklärte, er werde "den Faulenzern, Zynikern und Extremen nicht nachgeben".

Aber vor allem über das zukünftige französische Arbeitsrecht, das Kündigungen erleichtert, Abfindungen beschränkt und Kleinfirmen mehr Gestaltungsfreiheit ohne Gewerkschaftskontrolle einräumt. Mathieu marschiert am Rand des Boulevards und verteilt das Flugblatt seiner Gewerkschaft CGT. Darauf heißt es, die Arbeitsmarktreform ermögliche "börsenmotivierte Entlassungen"; sie schaffe "Wegwerfmitarbeiter" und bedrohe "Tausende von Jobs vor allem in der Industrie". Oder wie Mathieu resümiert: "Diese XXL-Reform bringt das Gesetz des Dschungels zurück."

200 Kundgebungen landesweit

Der Gewerkschafter steht mit seinem Zorn nicht allein da: An fast 200 Kundgebungen im ganzen Land, begleitet von 4000 Streikaufrufen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, haben am Dienstag mehrere Hunderttausend Gegner der Arbeitsrechtreform teilgenommen. Viele Züge und Flüge fielen aus.

Den Aufruf hatte die einst kommunistische CGT erlassen. Die Gewerkschaft Force Ouvrière (FO) ließ die CGT diesmal im Stich. Ihr Vorsteher Jean-Claude Mailly konnte sich mit Macrons Konzessionen abfinden. An der Demonstration in Paris waren trotzdem FO-Flaggen zu sehen: Die Hälfte ihrer regionalen Verbände folgte dem CGT-Aufruf von sich aus. Das zeugt von den starken Spannungen innerhalb des Gewerkschaftslagers. Die CGT ruft für kommende Woche bereits zur nächsten "manif" (für "manifestation") auf, bleibt aber isoliert.

Einen Tag später will Macrons Arbeitsministerin Muriel Pénicaud die definitiven Dekrete der Reform vorlegen. Erst danach wird die Linkspartei Unbeugsames Frankreich von Jean-Luc Mélenchon ihre Truppen auf die Straße werfen – allerdings getrennt von der CGT. Deren Boss Philippe Martinez konnte sich mit Mélenchon nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

Nach dem Arbeitsrecht folgt das Gesundheitswesen

Macrons Taktik des "Teile und herrsche" ist bisher aufgegangen. In Paris verfolgen seine Berater aber nervös den Umfang der Kundgebungen. Macron hat noch so manche Strukturreform in petto: Nach dem Arbeitsrecht will er das Gesundheitswesen und den sozialen Wohnbau ummodeln. Und am liebsten sofort, um das Schicksal seines Vorgängers Hollande zu vermeiden. Mit seinem provokativen Spruch über die "Faulenzer" sucht er gar selbstbewusst die Konfrontation – frei nach dem Motto: Da müssen wir durch. Möglicherweise ist er aber zu weit gegangen. Sogar die Sozialistische Partei, die noch ihre Wahlwunden leckt und am Dienstag dem Aktionstag ferngeblieben ist, legt ihre Lethargie ab und meinte, Macron verachte die Erwerbstätigen.

Wichtiger ist, dass sich der linke Studentenverband Unef der CGT-Demo angeschlossen hat. In den sozialen Medien häufen sich nicht nur die Aufrufe gegen die Arbeitsrechtreform, die vor allem jugendliche Berufseinsteiger betrifft. Öl ins Feuer war auch Macrons Absichtserklärung, das Wohngeld APL um monatlich fünf Euro zu kürzen. Klar ist: Wenn die Studenten massiv auf die Straße gehen, ist in Paris Feuer am Dach. Der Rückzug aller wichtigen Bildungs- oder Jobreformen der letzten Jahrzehnte in Frankreich ging jeweils auf das Konto der Studenten und Mittelschüler. Die Zeitung Le Figaro fragt sich bereits, ob Macron diese soziale Front nicht übersehe. (Stefan Brändle aus Paris, 12.9.2017)