Wien – Wer kocht, weiß vielleicht, was den Knödel zum Schwimmen bringt: Frisch geformt plumpst die Kugel auf den Boden des mit Wasser gefüllten Topfs. Sobald er gar ist, steigt er auf. Das hat einen recht simplen Grund, der in Büchern und Vorträgen über Wissenschaft und Kochen schon hundertfach erklärt wurde: Beim Formen des Knödels werden Luftblasen mit eingeschlossen, die wegen des Eiweiß- und Stärkenetzwerks nicht entweichen können, sodass beim Erhitzen nicht nur die Stärke verkleistert, sondern das Volumen des Knödels durch die sich ausdehnenden Luftblasen vergrößert wird. Das heißt, dass die Dichte des Knödels geringer wird, er also aufsteigt.

Wissenschafter Klaus Dürrschmid zeigt die Spuren der Knödelarbeit.
Foto: Corn

An einem sonnigen Tag im vergangenen August waren der Lebensmittelwissenschafter Klaus Dürrschmid von der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku), die Biochemikerin Elena Kinz vom Verein Open Science und der STANDARD Gäste in der Küche des Hotels Stefanie in Wien, um mit dem Chefkoch des Hauses, René Herzog, über die Wissenschaft des Kochens und Essens zu reden. Unmittelbarer Anlass: der Abschluss des vom Wissenschaftsministerium unterstützten Open-Science-Projekts "Hungry for Science", in dem mehr als zwei Jahre mit Aktionstagen im Labor, Mitmachstationen, einem Pubquiz und einem Blog versucht wurde, die Öffentlichkeit mit sachlichen Informationen zur Wissenschaft des Kochens – im besten Sinne – zu versorgen.

Eine Art Mozartkugel

An diesem Nachmittag in der Hotelküche ging es natürlich nicht nur, aber auch um den österreichischen Klassiker Knödel. Herzog kreierte mit tatkräftiger Unterstützung von Kinz und Dürrschmid eine Art Kartoffelknödel-Mozartkugel mit zwei verschiedenen Kartoffelmassen: lila als Fülle, gelb als Mantel. Gewürzt wurde diese optische Variation des Knödelalltags mit Kresse, aber natürlich nicht mit irgendeiner Kresse, sondern mit einer speziellen Züchtung.

Herzog ließ vier Varianten liefern, die mit völlig anderen essbaren Pflanzen- und Gewächsarten gekreuzt wurden, aber aufgrund der Kresseoptik im Geschmack nur mit Mühe und langem Nachdenken erkannt wurden: Anis, Kren, Radieschen und Kümmel. Ein Beispiel dafür, wie das Auge und die Erfahrung beim Essen den Geschmack leiten. Verwendet wurde schließlich die Kümmelkresse.

Herausforderung Kalbfleisch

Eine weit größere Herausforderung war das Hauptgericht: Kalbsbackerl. Wenn Wissenschaft und Chefkoch über den Speiseplan beraten, müssen diese dicken Fleischstücke schon ganz unterschiedlich zubereitet werden – die Geschmacksunterschiede will man ja testen. Die Faustregel ist: Alles, was viel Bindegewebe hat, sollte man langsam schmoren. Bei den Kalbsbackerln bietet sich auch Sous-vide an. Das Fleisch wird also luftdicht im Vakuum verpackt und im Wasserbad bei niedrigen Temperaturen gegart.

Elena Kinz von Open Science und das Rätsel "Wonach könnte diese Kresse denn schmecken?"
Foto: Corn

Dürrschmid weiß gleich vom Nachteil dieser Zubereitung zu berichten: Da Sous-vide nichts anderes bedeutet als ohne Sauerstoff, gibt es keine Maillard-Reaktionen (Bräunung), und es entstehen keine Aromen, die das Fleisch so richtig schmackhaft machen. Dürrschmid: "Das Ergebnis kann leicht enttäuschend sein, wenn die Fleischqualität nicht optimal ist: Das Schwein schweindelt, das Lamm lamperlt." Da das Fleisch aber nicht austrocknen kann, bekommt es eine Textur, die Koch und Gehilfen aus der Wissenschaft zu Lobgesängen veranlasst. Und so kann die Lösung nur heißen: das Fleisch mit einer extra kreierten aromatischen Sauce oder Kräutern, Gewürzen und Ölen gemeinsam in dem Plastiksackerl zu verschweißen.

Aus Experimentierfreude werden natürlich ein paar Kalbsbackerlstücke kurz in der Pfanne angebraten. Das Ergebnis zu kauen machte keine Freude, hätte vermutlich ewig lange gedauert, Plombenreißeffekte wollte niemand der Anwesenden auskosten.

Komplexe Vorspeise

Etwas komplexer, aber ungleich vielversprechender war die Zubereitung der Vorspeise, einer gelierten Gurkenkaltschalte, was laut Dürrschmid schon einen Touch Molekularküche hatte, aber schon noch weit entfernt war von den Klassikern dieses 1990er-Jahre-Kochstils: Melonenkaviar zum Beispiel. Da das Gelee "thermoreversibel" ist, platzt es im Mund auf. Ein netter Effekt, der eben nur gelingt, wenn man das Kochkunststück nicht zu lange bei Zimmertemperatur stehenlässt. Die Gurkenkaltschalte wird übrigens etwas überwürzt, weil man sie erstens kalt isst und zweitens die Geschmacks- und Aromastoffe in der Matrix des Gels schlechter verfügbar sind und so schlechter wahrgenommen werden.

Die Kunst, das Essen schön zu präsentieren: Davon hat Chefkoch René Herzog offenkundig Ahnung
Foto: Corn

Zwischen den einzelnen Kochschritten wurde natürlich gefachsimpelt – und die Wahrheit über einige Mythen des Schmeckens und Kochens erzählt. Elena Kinz etwa wunderte sich über den beständigen Glauben an die "Zungenlandkarte", die von bestimmten Regionen der Zunge für bestimmte Geschmacksrichtungen ausgeht. "Man weiß schon lange, dass das falsch ist", sagt Dürrschmid. Richtig ist, dass alle Grundgeschmacksarten am Zungenrand gleich intensiv wahrgenommen werden. Mit einer kleinen Einschränkung: "Nur bitter nimmt man am hinteren Bereich der Zunge besser wahr."

Und Schärfe? Das sei eine trigeminale Wahrnehmung, die nicht nur von scharfem Chili angeregt wird, sondern auch von Kohlensäure, die als prickelnd-brennend beschrieben wird. Daran wird man vielleicht denken, wenn man das nächste Mal kocht. (Peter Illetschko, 9.9.2017)