Wenn man Christian Kern genau zugehört hat, dann war das keine Oppositionsansage in dem Sinne, dass die SPÖ erhobenen Hauptes und aus freien Stücken in Opposition gehen werde, sollte sie die Wahl am 15. Oktober nicht gewinnen. Es war viel mehr die resignierende Feststellung, dass ihr in diesem Fall nichts anderes übrig bleiben würde. Weil es dann nämlich Schwarz-Blau geben werde. Die Botschaft war dennoch sehr bewusst gesetzt: Sieg oder Opposition. Für andere Spekulationen sollte kein Platz mehr sein.

In erster Linie waren damit die eigenen Leute angesprochen, die Funktionäre und Sympathisanten, aber auch jene Wähler, die sich zwar vorstellen können, SPÖ zu wählen, sich aber noch nicht entschieden haben. Was Kern so beiläufig zu vermitteln versucht hat: Es geht um alles. Wenn er nicht Kanzler bleibt, wird es eine schwarz-blaue Regierung geben. Aus Sicht der Roten und der Linken also den Weltuntergang.

Diese Warnung sollte vor allem jene in den eigenen Reihen aufrütteln, die immer noch recht zurückgelehnt den Wahlkampf beobachten, ohne sich selbst einzubringen. Das Heraufbeschwören des Bösen hat schon oft geholfen, vor allem in der Auseinandersetzung mit der FPÖ. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat das von Wahl zu Wahl praktiziert und damit Erfolg gehabt: Auch jene, die nie wieder SPÖ wählen wollten, gaben ihr noch ein letztes und wieder letztes Mal ihre Stimme, um Heinz-Christian Strache zu verhindern.

Häupl tat dies allerdings aus einer Position der Stärke heraus. Er konnte glaubwürdig darstellen, dem drohenden Schrecken Einhalt gebieten zu können. Diese Stärke besitzt Kern nicht. Er liegt in den Umfragen deutlich zurück und ist in die Rolle des Herausforderers geraten. Und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist weniger angreifbar als der um sich schlagende Strache. Kerns Oppositionsansage ist zudem zweischneidig: Was er als letzten Weckruf und als Motivationsschub verstanden wissen will, klingt wie das resignative Eingeständnis, dass die Wahl bereits verloren ist.

Hier noch unschlüssige Linke, potenzielle Grün- und Pilz-Wähler anzusprechen ist auch aus einem anderen Grund schwierig: Die Warnung vor Schwarz-Blau ist nur bedingt glaubwürdig, wenn sich die SPÖ gleichzeitig in der ausgesprochen emotional unterlegten Migrationsfrage den Positionen von FPÖ und ÖVP annähert. Da muss man dem Kanzler schon sehr genau zuhören, um noch einen Unterschied herauszuhören – im Wahlkampf ist das besonders schwierig.

Dazu kommt, dass die Teamaufstellung in der SPÖ nicht funktioniert – oder gar nicht vorhanden ist: Es bleibt Kern vorbehalten, tagaus, tagein die Angriffe gegen Kurz zu führen, was seine Souveränität als Kanzler untergräbt. Statt Gelassenheit zu demonstrieren, wirkt er gehetzt. Offenbar trauen sich die anderen Spieler der SPÖ nicht aufs Feld. Sie wollen sich, mit Ausnahme von Häupl, die Hände nicht schmutzig machen. Wenn dann doch einer Kern zu Hilfe eilen will, richtet er mehr Schaden an, als es nutzt. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl sagte am Tag nach Kerns Oppositionsansage: "Opposition ist Mist." Damit meint er im Grunde zwar das Gleiche wie Kern, seine Aussage klingt aber wie ein Widerspruch.

Auf diese Hilfe hätte Kern gut verzichten können, aber seine Leidensgeschichte in diesem Wahlkampf ist offenbar noch nicht fertiggeschrieben. (Michael Völker, 5.9.2017)